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Lastwagen ohne Fahrer

Transportforum ITF in Leipzig fordert mehr Feldversuche für autonomes Fahren

  • Hendrik Lasch, Leipzig
  • Lesedauer: 4 Min.

Als vor rund 100 Jahren die ersten Automobile auf die Straße kamen, erhoffte man sich vom neuen Transportmittel auch die Lösung eines gravierenden Umweltproblems. Pferde, mit deren Hilfe bis dahin Menschen und Güter befördert worden waren, produzieren Mist - ein jedes zehn Kilogramm am Tag. Allein in New York, sagt der Rechtswissenschaftler Bryant Walker Smith von der Universität South Carolina, kam so ein immenser Berg Pferdeäpfel zusammen.

Smith gab die Anekdote beim diesjährigen Internationalen Transportforum (ITF) in Leipzig in einer Debatte zum autonomen Fahren zum Besten und spielte damit ein wenig den Advokaten des Teufels: Nicht alle Erwartungen an neue Technologien, wollte er andeuten, erfüllen sich. Die mit Benzin und Diesel betriebenen Kraftfahrzeuge sind heute eines der gravierendsten Umweltprobleme; und wenn der Verkehr wie absehbar weiter wächst, könnte der dadurch verursachte CO2-Ausstoß bis zum Jahr 2050 um zwei Drittel ansteigen - selbst wenn die Emissionen jedes einzelnen Fahrzeugs dank neuer Technologien verringert werden.

Um die Ziele des Pariser Klimagipfels zu erreichen, müssten die Gegenmaßnahmen also »viel kühner« werden, sagte ITF-Generalsekretär José Viegas. Er merkte bei einer Zwischenbilanz des 2016 gestarteten ITF-Projekts zur »Dekarbonisierung des Verkehrs« an, dass der Beitrag des Sektors zum Klimaschutz bisher unterschätzt werde. Nur neun Prozent der Länder, die nationale Klimaziele verabschiedet hätten, würden dort auch konkrete Maßnahmen für den Verkehrsbereich benennen.

Das autonome Fahren gilt nur mittelbar als Königsweg, wenn es darum geht, den Verkehr sauberer zu machen, nämlich dann, wenn es sich um elektrisch betriebene Autos handelt. Große Hoffnungen richten sich aber auf Verkehrssicherheit und die Vermeidung von Unfällen sowie um Effizienz. Ein Lastwagen, dessen Fahrer nicht nach acht Stunden pausieren muss, könne 24 Stunden rollen, merkt Viegas bei der Vorstellung einer Studie zum »führerlosen Straßen-Güterverkehr« an. Der Großteil der Unfälle auf US-Straßen, sagt Sarah Hunter von der für das autonome Fahren zuständigen Google-Tochter X, sei durch Übermüdung oder Mangel an Aufmerksamkeit bedingt: »Eine Maschine aber ist nie müde oder abgelenkt.«

Auf dem ITF gilt es deshalb als ausgemacht, dass das autonome und automatisierte Fahren kommt - und zwar womöglich schneller, als viele wahrhaben wollen. Der Frachttransport auf Autobahnen ohne Fahrer werde in zehn Jahren »üblich« sein, sagt Viegas; es gehe nur darum, den Übergang geordnet zu gestalten. Die in Leipzig präsentierte Studie wurde deshalb gemeinsam von Lkw-Herstellern, Logistikverbänden und Gewerkschaften erstellt. Sie geht davon aus, dass der Bedarf an Fahrern um 60 Prozent reduziert werden kann. Dank Automatisierung könnte er für das Jahr 2030 weltweit von 6,4 auf zwei Millionen gesenkt werden.

Das hilft einerseits der Branche, die überall unter Nachwuchsmangel leidet und der derzeit allein in Deutschland jährlich 20 000 Berufsanfänger fehlen. Zugleich dürfte aber die schnelle Einführung der Technologie zunächst auch zwei Millionen Fahrer arbeitslos machen, sagt Mac Urata von der Internationalen Transportarbeitergewerkschaft. Die Studie schlägt deshalb unter anderem vor, ein befristetes System von Lizenzgebühren einzuführen, um das Tempo des Übergangs zu steuern. Aus den Erlösen sollten Sozialleistungen für betroffene Fahrer finanziert werden. Perspektivisch, sagt Christian Labrot von der Internationalen Straßenverkehrsvereinigung, würden Fahrer nicht gänzlich überflüssig; vielmehr werde sich das Berufsbild dank Technik stark wandeln: »Man wird sich fühlen wie ein Flugzeugpilot.«

Im Stadt- und Personenverkehr wird der Übergang dagegen wohl länger dauern. Die Branche drängt dafür vorerst auf Feldversuche im größeren Maßstab. Bisher, sagt Hunter, sei die Debatte um autonomes Fahren völlig theoretisch: »Wenige Leute haben tatsächlich in einem fahrerlosen Auto gesessen.« Praktische Erfahrungen seien aber notwendig, damit die Öffentlichkeit ausreichend Vertrauen in die neue Technologie entwickeln könne, sagt Rechtswissenschaftler Walker Smith. Er warnt dabei vor Rückschlägen: Unfälle autonomer Autos würden weit mehr dramatisiert als jene von Menschen gesteuerter Fahrzeuge; und sollte erstmals ein Crash dadurch ausgelöst werden, dass ein Hacker den Bordcomputer eines Autos gekapert habe, dann »dreht die Öffentlichkeit durch«.

Um so wichtiger scheint es den Entwicklern, ihre Autos quasi als Engel im Verkehr zu präsentieren. Googles Autos würden etwa, wenn die Ampel auf Grün schaltet, generell noch anderthalb Sekunden warten, sagt Hunter - um den in den USA oft anzutreffenden Rotsündern gewissermaßen den Vortritt zu lassen.

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