Lebensmüde lustig

Mit »Blaumacher« traut sich das ZDF endlich, die Mittelmäßigkeit wahrhaftig zu verspotten

  • Jan Freitag
  • Lesedauer: 3 Min.

Bei Frank Sporbert läuft es eher medium. Seine Frau geht fremd. Die Kinder hassen ihn. Für alle anderen ist er unsichtbar. Selbst in der eigenen Firma fällt es kaum auf, wenn der mittelmäßige Familienvater Anfang 40 wochenlang dem Büro fernbleibt. Kurzum: Das Leben des Spießbürgers ist alles andere als lebenswert. Weshalb der »Blaumacher«, wie die Titelfigur dieser außergewöhnlichen Eigenproduktion von ZDFneo heißt, nur einen Ausweg weiß: Suizid.

Das mag zwar überspitzt klingen angesichts des schönen Anwesens mit drei Autos im Stall und null Sorgen ums materielle Auskommen, aber gut - der Freitod misslingt ja gehörig. Statt ihm den Kopf vom Rumpf zu pusten, durchschlägt die Gewehrkugel drei Zimmerdecken und läutet damit eine Serie ein, wie sie das deutsche Fernsehen bislang selten hervorgebracht hat. Regisseurin Pia Strietmann belässt es nämlich nicht bei einem Lebensmüden, sie stellt ihm auch noch eine Leidensgenossin zur Seite. Nebenan will sich Franks halb so alte Nachbarin Sascha zeitgleich im Keller erhängen. Und weil auch das danebengeht, kommt es zur Begegnung zweier verlorener Seelen am Abgrund ihrer zerrütteten Existenz, denen das Schicksal die Chance zum Neuanfang gibt. Gemeinsam. Hand in Hand. So unterschiedlich die beiden auch sind.

Hier der deprimierte Vater im Griff seiner Midlife-Crisis, da die depressive Tochter im Griff ihrer Sinnlosigkeit, zusammen weniger allein - damit schreibt der »Blaumacher« fast ein bisschen TV-Geschichte im Kleinen. Und das hat mehrere Gründe. Da wäre Bernd Langes lakonisches Drehbuch, in Szene gesetzt von Eeva Fleigs lässig mäandernder Kamera. Und da wäre der Hauptdarsteller: Marc Ben Puch. Dem breiteren Publikum bislang eher aus Unterhaltungsserien von »Block B« bis »Knallerfrauen« bekannt, füllt der Berliner die Frustration seiner Filmfigur mit einem Trotz, der die landestypischen Klischees fast vergessen lässt.

Natürlich tragen auch in dieser Serienfiktion alle Frauen immer überall High-Heels und sind auch sonst vornehmlich sexy. Die Durchschnittlichkeit der Titelfigur wird dazu mit bürokratischem Stromberg-Bart zum taubenblauen Kurzarmhemd notorisch überinszeniert. Pubertierende Kinder gibt es wie üblich nur als radikale Exzentriker. Und dass schwarzer Humor nicht ständig mit zuckrigem Klaviersound abgemildert werden muss, werden manche Filmemacher wohl niemals lernen. Dennoch macht es großen Spaß, Frank und seiner Frau Carmen - angemessen schmallippig verkörpert von Lisa Martinek - dabei zuzusehen, wie sie die etwas zu attraktive Sascha (Laura Berlin) zur Platzhalterin ihrer verschütteten Sehnsüchte machen.

Den ersten zwei Episoden nach zu urteilen, begnügt sich »Blaumacher« schließlich nicht damit, aus der Lebensmüdigkeit seiner Protagonisten bloß eine Nummernrevue der Skurrilitäten zu machen. Sie dürfen durchaus aneinander wachsen und dabei gelegentlich Tiefgang erreichen, den man ansonsten nur von britischem Humor kennt. Thomas (Josef Heynert) zum Beispiel, Carmens Liebhaber, wird als leicht tumber Fitness-Trainer überdreht gezeichnet, nicht billig karikiert. Und wenn Sascha Franks unterschwelligen Mutterkomplex entlarvt, kommt es nicht zum überdrehten Schlagabtausch, sondern zu einem nüchternen »Touché« des Entlarvten, der daraufhin schweigt.

Noch viel bemerkenswerter als dieser Mut zur Lücke ist aber der, die deutsche Primärtugend exzessiver Mittelmäßigkeit ohne rollende Augen oder klobrillendicke Brillengläser zu verspotten. Woran die Schmunzelkrimis im Ersten Vorabend für Vorabend scheitern, schafft sonst ja allenfalls ein Ralf Husmann bei Pro7 oder sein Stammregisseur Arne Feldhusen im NDR, wo der »Tatortreiniger« die Reste bürgerlicher Doppelmoral beseitigt. Dummerweise duldet das ZDF den »Blaumacher« mal wieder nur in seiner Nische namens neo, die kaum jemand sieht, aber umso mehr das Gefühl hinterlässt, öffentlich-rechtliche Kreativität sei mehr als ein Gerücht. Angenehme Unterhaltung!

ZDFneo, nächste Folge: 14. Juni, 21.45 Uhr. Weitere Folgen in der ZDF-Mediathek verfügbar.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal