Opposition in der Türkei startet »Marsch für Gerechtigkeit«

Tausende protestieren in der Hauptstadt Ankara und in Istanbul auch gegen die Festnahme von CHP-Abgeordneten

  • Lesedauer: 3 Min.

Ankara. Nach der Festnahme eines ihrer Abgeordneten hat die türkische Opposition einen »Marsch für Gerechtigkeit« gestartet. Tausende Anhänger der Republikanischen Volkspartei (CHP) gingen am Donnerstag in Ankara auf die Straße, um gegen die Festnahme des CHP-Abgeordneten Enis Berberoglu zu protestieren. Oppositionsführer Kemal Kilicdaroglu kündigte an, die 400 Kilometer bis zum Istanbuler Gefängnis von Berberoglu zu Fuß zu marschieren.

»Ich werde den ganzen Weg bis Istanbul laufen. Wir werden diesen Marsch fortsetzen, bis es Gerechtigkeit in der Türkei gibt«, sagte Kilicdaroglu, der bei dem Marsch durch Ankara ein Schild mit der Aufschrift »Adalet« (Gerechtigkeit) trug. Bis zum Gefängnis von Maltepe am Ostrand von Istanbul sind es gut 400 Kilometer, zu Fuß dürfte der Marsch drei Wochen dauern.

»Schulter an Schulter gegen den Faschismus«, riefen die Demonstranten bei den Protesten in Ankara. Andere hielten Plakate hoch, die »Gerechtigkeit für inhaftierte Abgeordnete« forderten. Auch in Istanbul versammelten sich hunderte Oppositionsanhänger im Macka Park und riefen, »Wir werden durch Widerstand siegen«.

»Wir sind gekommen, um Gerechtigkeit zu fordern«, sagte die Demonstrantin Funda Sakalioglu in Ankara der Nachrichtenagentur AFP. »Wir haben es mit einer Diktatur zu tun.« Die unabhängige Abgeordnete Aylin Nazliaka sagte, sie seien auf der Straße, um dagegen zu protestieren, dass Justizentscheidungen von oben diktiert würden.

»Berberoglu wurde wegen eines Presseartikels inhaftiert«, sagte der Demonstrant Cem in Istanbul. »Dies bedeutet, dass einige die Realität fürchten, die in dem Artikel beschrieben wurde.«

Berberoglu war am Mittwoch wegen eines Berichts der regierungskritischen Zeitung »Cumhuriyet« über geheime Waffenlieferungen nach Syrien zu 25 Jahren Haft verurteilt und umgehend festgenommen worden. Der frühere Chefredakteur von »Hürriyet« ist der erste CHP-Abgeordnete, der seit dem Putschversuch vom 15. Juli inhaftiert wird.

Ihm wird vorgeworfen, »Cumhuriyet« ein Video eines Konvois des türkischen Geheimdiensts MIT gegeben zu haben, der angeblich Waffen für islamistische Rebellen in Syrien geladen hatte. Wegen des Berichts von Mai 2015 wurden bereits der frühere »Cumhuriyet«-Chefredakteur Can Dündar zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt. Dündar lebt heute in Deutschland.

Das Urteil gegen Berberoglu traf in der CHP auf scharfe Kritik. Auch die prokurdische HDP, die selbst massiven Repressionen ausgesetzt ist, verurteilte die Festnahme. Vertreter der regierenden AKP und der ultrarechten MHP verwiesen dagegen darauf, dass die CHP im Mai 2016 selbst mit für die Aufhebung der Immunität von Abgeordneten gestimmt habe.

Die CHP hatte sich nach dem gescheiterten Militärputsch vom 15. Juli mit Präsident Recep Tayyip Erdogan solidarisiert. Doch die Initiative Erdogans zur Einführung eines Präsidialsystems, die Mitte April in einem umstrittenen Verfassungsreferendum knapp gebilligt wurde, hat zu starken Spannungen zwischen der CHP und der Regierung geführt.

Die Regierung geht seit dem Umsturzversuch mit großer Härte gegen ihre Gegner vor. Mehr als 50.000 Menschen wurden seitdem in Haft genommen, darunter ein Dutzend Abgeordnete der HDP sowie mehrere Mitarbeiter von »Cumhuriyet«. Wie Medien berichteten, wurde der inhaftierte Onlinechef der Zeitung aber am Mittwoch bis zu seinem Prozess freigelassen.

Oguz Güven war im Mai wegen eines Berichts über den Unfalltod von Staatsanwalt Mustafa Alper festgenommen worden. Alper spielte eine führende Rolle bei der Verfolgung mutmaßlicher Putschbeteiligter. Güven sagte, er habe gemischte Gefühle über seine Freilassung, die so kurz nach der Verurteilung und Festnahme von Berberoglu erfolge. AFP/nd

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