Von Kriegsschiffen und Wasserbomben

In zwei Wochen findet in Hamburg der G20-Gipfel statt. In der Stadt hat nun das Warmlaufen begonnen

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Hamburg. Zu einem ordentlichen internationalen Großgipfel auf bundesrepublikanischem Boden gehören offenbar Tabubrüche in Sachen Inlandseinsatz der Bundeswehr, zumindest in Spekulationsform. Ließ man vor zehn Jahren beim G8-Gipfel in Heiligendamm einen Bundeswehr-Jet über ein Protestcamp fliegen, soll nun ein »Geheimplan« bestehen, während des G-20-Treffens an der Elbe ein Kriegsschiff im Hamburger Hafen festmachen zu lassen - berichtete jüngst der »Focus«. Auch wenn das Verteidigungsministerium dies dementiert, fügt sich die wohl aufgeblasene Story des Münchner Magazins in die allgemeine symbolische Mobilmachung im Vorfeld des Gipfels.

Auch dessen Gegner beginnen sich nun warmzulaufen. So zogen am Samstagabend mehrere Hundert Menschen unter dem Motto »GeSa to Hell« durch den Hamburger Stadtteil Harburg, um friedlich gegen die umstrittene Gefangenensammelstelle zu protestieren, die dort während des bevorstehenden G20-Gipfels am 7. und 8. Juli bereitstehen soll.

Die Polizei war in durchaus ähnlicher Stärke angerückt. Die Behörden nannten die Stimmung »verbal aggressiv« und erläuterten dies auch: Es habe »lautstarkes Skandieren der Versammlungsteilnehmer gegen Polizeibeamte« gegeben. Viele Protestierende kritisierten das massive Polizeiaufgebot als »völlig unverhältnismäßig«. Es wurden Plakate mit Aufschriften wie »Freiheit stirbt mit Sicherheit« und »Solidarität mit allen Squats« gezeigt.

Die Gefangenensammelstelle soll Platz bieten für bis zu 400 Festgenommene, die sehr bedrängte räumliche Verhältnisse erwarten. Wie eine parlamentarische Anfrage der Linkspolitikerinnen Christiane Schneider und Sabine Boeddinghaus im Mai ergab, wird dabei für jede in Sammelzellen festgehaltene Person mit 1,8 Quadratmetern kalkuliert, obwohl das Gewahrsam durchaus auch über Nacht anhalten und bis zu 48 Stunden dauern kann. Schneider mutmaßt, die Gefangenensammelstelle gehöre »zum Abschreckungskonzept der Polizei«. Die Kosten für den entsprechenden Umbau des zuletzt als Erstaufnahmestelle für Fluchtmigranten genutzten ehemaligen einstigen Lebensmittelmarktes werden derzeit auf rund drei Millionen Euro beziffert.

Bereits am Samstagmittag gab es unter dem Motto »Wir sind hier« eine Demonstration für eine menschlichere Flüchtlingspolitik der G-20-Staaten. An der Demonstration unter dem Motto »We are here« nahmen laut Polizeiangaben über 700 Menschen teil. Dazu aufgerufen hatten die Organisationen »Lampedusa in Hamburg« und »Hazara Volks- und Kulturverein«.

Am Freitagabend trafen sich rund 200 Gipfelkritiker am Pferdemarkt im Stadtteil St. Pauli zu einer Schlacht mit Wasserbomben, um gegen die Einrichtung jener »blauen Zone« zu protestieren, innerhalb derer während des Gipfels politische Kundgebungen pauschal verboten sein sollen. »In Hamburg wurde der Rechtsstaat abgeschafft«, hieß es im Aufruf zu der Aktion. Per polizeilicher Verfügung seien »große Teile Hamburgs zu demokratiefreiem Gebiet erklärt« worden.

Bereits am Montagmorgen geht der Reigen an Protestveranstaltungen im Vorfeld mit einer »Mahnwache« im Hamburger Stadtpark im Stadtteil Winterhude weiter. »Sofern uns die Versammlungsbehörde keinen Strich durch die Rechnung macht, werden wir auf der Kiesfläche zwischen Festwiese und Otto-Wels-Straße zu finden sein«, teilten die Veranstalter der Mahnwache mit.

In dem Park hatte während des Gipfels ein »Antikapitalistisches Camp« Alternativen zur herrschenden Gesellschaftsform vorleben sollen. Das Hamburger Oberverwaltungsgericht hatte das als Dauerkundgebung angemeldete Camp aber mit dem Argument verboten, bei dem Camp handle sich vor allem um eine Übernachtungsmöglichkeit und es könne nach dem Versammlungsrecht nicht genehmigt werden.

Nun haben die Veranstalter Beschwerde gegen diese Entscheidung beim Bundesverfassungsgericht eingelegt. In der Nacht zu Sonntag sei das entsprechende Fax abgeschickt worden. Die vom Gericht angeführten Zelte mit Versorgungsinfrastruktur seien für die Durchführung einer solchen Langzeitkundgebung unerlässlich. Das Oberverwaltungsgericht spiele mit seinem Urteil Politik und Behörden in die Hände, die seit Monaten versuchten, den G20-Protest möglichst zu verhindern.

Derweil hat am Freitag der Führungsstab für die mehr als 15 000 Polizistinnen und Polizisten, die während des Gipfels eingesetzt werden sollen, seine Arbeit aufgenommen. Laut Polizeipräsident Ralf Martin Meyer handelt es sich um den »größten Einsatz in der Geschichte der Hamburger Polizei«. Wie viele verdeckte Ermittler - womöglich Provokateure - sich unters Protestvolk mischen, ist dabei offen. Nach einer Reihe von Enttarnungen rechtswidrig in die linke Szene eingeschleuster Ermittler waren aus derselben im vergangenen Jahr hinsichtlich des G20-Gipfels entsprechende Warnungen laut geworden. nd/Agenturen

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