Beim Kreis geht keiner ans Telefon
Landtag überweist Gesetzentwürfe zur Kommunalreform in die Ausschüsse
»Wir reden nicht über den Untergang des Abendlandes, nicht über die Schließung von Schulen«, versuchte Linksfraktionschef Ralf Christoffers, die Oppositionsparteien CDU und Freie Wähler auf den Teppich zu holen. Am Mittwoch befasste sich der Landtag mit der geplanten Kommunalreform, konkret in erster Lesung mit dem Gesetzentwurf zur Funktionalreform und dem Gesetzentwurf zur Neugliederung der Kreise. Beide Entwürfe wurden nach aufgeregter Diskussion zur Beratung in die Ausschüsse überwiesen. Mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen SPD und LINKE abgelehnt wurde ein Antrag der Freien Wähler, wonach sich der Landtag jetzt schon festlegen sollte, dass Ergebnis eines möglichen Volksentscheids gegen die Kreisreform als bindend anzuerkennen.
Linksfraktionschef Christoffers mahnte in der Debatte, doch wenigstens »ein Stück weit« zur Sachlichkeit zurückzukehren. Zuvor hatte schon SPD-Fraktionschef Mike Bischoff gerügt, die CDU wolle die Kreisgebietsreform zur »Stimmungsmache« benutzen, obwohl die Partei noch vor wenigen Jahren selbst Reformbedarf gesehen habe. Bischoff verwies auf den CDU-Politiker Jörg Schönbohm, der vor der Landtagswahl 1999 eine Gemeindegebietsreform kategorisch ausgeschlossen, sie dann aber als Innenminister aus »Einsicht in die Notwendigkeit« durchgeführt habe. »Manchmal wünsche ich mir - man kann sich das kaum vorstellen - den knorrigen Jörg Schönbohm zurück«, sagte Bischoff.
Bereits als Innenminister Karl-Heinz Schröter (SPD) die Debatte eröffnete, ergab sich ein erster Schlagabtausch durch Zwischenfragen der CDU. Der Abgeordnete Dieter Dombrowski hatte einen Radiospot der Regierung gehört, in dem eine Bürgerin im Landratsamt anruft. Das Telefon klingelt, aber niemand hebt den Hörer ab. Die Quintessenz: Die Kreisgebietsreform sei notwendig. Nun wollte Dombrowski wissen, in welchem Landkreis das angeblich vorkomme, dass niemand ans Telefon gehe? Er verstehe ja, reagierte Minister Schröter, dass man den Spot nicht zu Ende anhöre und das Radio abschalte, wenn man die Kreisreform nicht wolle. Hätte Dombrowski abgewartet, so hätte er aber erfahren, dass es in dem Spot darum gehe, wie es in Zukunft aussehen könnte. Damit gab sich die CDU nicht zufrieden. In welchem Landkreis würde es in Zukunft so schlimm kommen, lautete die nächste Zwischenfrage. In der Uckermark und in der Lausitz könnte es dramatisch werden, antwortete der Minister, der jede Zwischenfrage zuließ und von der CDU gleich die nächste bekam. Welche Gebietsreform musste jemals im Radio beworben werden? Das sei keine Werbung, das sei Information, meinte Schröter.
Ein Hin und Her gab es außerdem, als Péter Vida (Freie Wähler) Sozialministerin Diana Golze (LINKE) bezichtigte, diese habe im Kreistag Havelland gegen die Reform gestimmt und im Kabinett dafür. Das ließ sich Golze nicht bieten. Sie dementierte und erklärte, sie habe im Kreistag lediglich einer Stellungnahme des Havellandes zur Reform zugestimmt. Diese Stellungnahme habe jedoch keine ausdrückliche Ablehnung der Kreisreform enthalten. Darauf wollte Vida antworten. Er durfte aber nicht. Seine Redezeit war abgelaufen. Auf eine Kurzintervention hin hätte er noch reagieren dürfen. Doch Golzes Äußerung sei keine Kurzintervention gewesen, belehrte Landtagsvizepräsidentin Britta Stark (SPD) den Abgeordneten. Stattdessen habe Golze vom Rederecht der Landesregierung Gebrauch gemacht.
Damit war die Sache allerdings noch nicht vom Tisch. Denn Sven Petke (CDU) zitierte später aus der bewussten Stellungnahme und wertete die Passage so, als habe Golze als Kreistagsabgeordnete die Kreisgebietsreform doch abgelehnt. Petke leistete dann immerhin einen kleinen Beitrag zur Sachlichkeit. Früher war zuweilen der Eindruck erweckt worden, es werde im Zuge der Kreisreform Personal gekündigt. »Es wird keine Entlassungen geben«, bestätigte Petke nun. Allerdings würden 2000 Stellen wegfallen. »Die Leute können dort nicht mehr arbeiten.« Als nächstes würden die Gemeinden drankommen.
Keinesfalls werde es eine Gemeindegebietsreform noch vor der Landtagswahl 2019 geben, stellte Hans-Jürgen Scharfenberg (LINKE) postwendend klar. Auch er formulierte eine Zwischenfrage: Ob sich Petke erinnere, wie er für die Zwangsfusion von 400 Gemeinden im Jahr 2003 gestimmt hatte? Petke erinnerte sich.
Angesichts der vielen Zwischenfragen bat Parlamentspräsidentin Stark, für eine Zwischenfrage jeweils aufzustehen. Zwar können die Abgeordneten ihren Fragewunsch per Knopfdruck anmelden und am Präsidiumstisch leuchtet es dann rot auf. »Doch bei den Turbulenzen flackern hier so manche Leuchten«, entschuldigte Stark.
Wir sind käuflich.
Aber nur für unsere Leser*innen. Damit nd.bleibt.
Die »nd.Genossenschaft« gehört ihren Leser:innen und Autor:innen. Sie sind es, die durch ihren Beitrag unseren Journalismus für alle zugänglich machen: Hinter uns steht kein Medienkonzern, kein großer Anzeigenkunde und auch kein Milliardär.
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ unabhängig und kritisch berichten
→ übersehene Themen aufgreifen
→ marginalisierten Stimmen Raum geben
→ Falschinformationen etwas entgegensetzen
→ linke Debatten voranbringen
Werden Sie Teil unserer solidarischen Finanzierung und helfen Sie mit, unabhängigen Journalismus möglich zu machen.