»Ich will Kolumbus sein«

Joochen Laabs machte sich selbst ein Geschenk zu seinem 80. Geburtstag

  • Carsten Gansel
  • Lesedauer: 5 Min.

Als Joochen Laabs 2006 für seinen Roman »Späte Reise« mit dem Uwe-Johnson-Preis ausgezeichnet wurde, kam er in seiner Dankesrede darauf zu sprechen, was ihn zur Literatur gebracht habe. Die Erinnerung führte zurück an das Kriegsende 1945 und zu jenem Erweckungserlebnis, bei dem der damals Achtjährige auf Bücher stieß, die sich vor dem demolierten großelterlichen Gehöft in einem Berg von Bruch und Müll fanden. »Ich las, und was mich umgab, entzog sich mir«, so Joochen Laabs in seiner Dankesrede.

Es waren Gedichte von Theodor Storm und Nikolaus Lenau darunter, die den Jungen aus der ihn umgebenden Zerstörung in eine »Zweitwelt« führten und von den »Bedrückungen befreiten«. Diese frühen Prägungen haben etwas Existenzielles gestiftet und sind mitverantwortlich dafür, dass aus Joochen Laabs ein Dichter wurde! Und es nimmt nicht wunder, dass er mit Gedichten debütierte. »Eine Straßenbahn für Nofretete«, so hieß der Band, der 1970 erschien.

Nun, 47 Jahre später - wo sind die Jahre geblieben? - macht der Autor sich und seinen Lesern einen wunderschönen Gedichtband zum Geschenk, der den Titel »Ungerechtfertigtes Lamento« trägt. Die lyrische Erkundung präsentiert sich in unterschiedlichsten Formen und ist einmal mehr ein Beleg für das, was Joochen Laabs schon immer ausgezeichnet hat: sensible Welterkundung, beharrliches Engagement, zurückhaltende Sinnsuche und nicht korrumpierbare Standfestigkeit. In Zeiten der großen Gesten und des überlauten Geredes ist es eine Wohltat, die Stimme eines Autors zu vernehmen, der mit Ernsthaftigkeit und Zurückhaltung darauf aus ist, Schichten des Gestern und des Heute freizulegen.

Dabei steigt das Ich tief hinab in die Vergangenheit, es spannt einen Bogen von der Kindheit im Nachkrieg über die utopischen Jahre des Neubeginns und die ernüchternden Erfahrungen des sich einstellenden Alltags bis hin zum so nicht erwarteten Zerplatzen der großen Hoffnungen. Dabei werden die Zeitläufte minuziös durchmessen und die Innenwelten des Ichs geprüft.

Trotz allen Wandels über die Jahrzehnte kehren in den lyrischen Zeugnissen Topoi wieder, die auf einzigartige Weise an den Autor Joochen Laabs gebunden sind, das Reisen und das Erkunden fiktiver und realer Welten, die über so unterschiedliche Transportmittel wie die Straßenbahn und das Flugzeug erreicht werden. Und einmal mehr befindet sich das Ich im Dialog mit seinem Schatten: »Mein Schatten, Schlemihl, treuer Freund,/ du bist mir fest verbunden«. Da ist er wieder, der Bezug auf Adalbert von Chamissos phantastische Geschichte.

Der Schatten und der mögliche Verlust desselben, dies ist eine Metapher, die sich durch Leben wie Werk des Autors zieht. Sie führt mehr als 50 Jahre zurück in eine Zeit, da die Stimme eines jungen Mannes in einer Gruppe anderer Junger - Volker Braun, Jurek Becker, Klaus Schlesinger, Helga Schütz oder Gerti Tetzner - zu vernehmen war. »Lyrikwelle« hieß das damals und markierte in den 1960er Jahren den Anspruch einer Generation, die an dem Projekt einer »Demokratischen Republik« (Uwe Johnson) mit ihren künstlerischen Mitteln beteiligt sein wollte.

»Das Grashaus«, dieser wundervolle Roman, der 1971 folgte, kündet bereits im Titel davon, dass es um adoleszente Größen- und Allmachtphantasien geht, nämlich die »Aufteilung von 35 000 Frauen auf zwei Mann«. Freilich steht dahinter eine statistische Berechnung, die offenbarte, dass der Ich-Erzähler den Kenntnissen seines Schöpfers vertrauen konnte. Denn der war ein diplomierter Ingenieurökonom.

Mitte der 1970er Jahre traf Joochen Laabs dann eine Entscheidung, er gab seinen Beruf auf und wurde nach seiner Entlassung aus der Redaktion der Zeitschrift »Temperamente« das, was man einen freischaffenden Autor nennt. Der sah, wie die hoffnungsvollen Ideale an der Realität zu scheitern drohten, und er erzählte davon in einem wichtigen Roman. »Der Ausbruch« hieß der und erschien 1979. Schließlich - wiederum zehn Jahre später - folgte der »Schattenfänger«, ein Roman, bei dem die Schlemihl-Bezüge bereits im Titel offenbar wurden und der mit dem Vorführen von »gestockten Widersprüchen« Bewegung provozieren wollte.

Es kam anders als erhofft. Dennoch oder gerade: Wer heute wissen will, was der zweite deutsche Staat einmal war und was nicht, der sollte Joochen Laabs Romane lesen und keine Geschichtsbücher.

Der Gang der Geschichte brachte es mit sich, dass aus dem zurückhaltenden Beobachter und Erzähler jemand werden musste, der sich öffentlich einmischt und in einer schwierigen Zeit in ein Amt einbringt: 1993 bis 1998 war Joochen Laabs Generalsekretär des PEN-Zentrums (Ost) und dann nach der Vereinigung als Vize-Präsident. Einige Jahre später und frei von eigenen Erwartungen und Zwängen der Außenwelt legte Laabs mit seiner »Späten Reise« einen Roman vor, der einen neuen Zugang zu den vereinfachenden und abgenutzten Bildern von DDR eröffnet. Und er erhielt zu Recht einen Preis dafür!

Franziska Augstein kam in ihrer schönen Laudatio auf den Uwe-Johnson-Preis auch auf Erwartungen von Joochen Laabs zu sprechen, der sehr wohl weiß, dass die Welt nicht so beschaffen ist, wie er sie sich wünscht. »Von der Außenwelt verlangt Joochen Laabs«, so Franziska Augstein, »dass er über Bäume nachdenken kann. Er will daran - erstens - nicht gehindert werden, unter dem Vorwand, es gebe Wichtigeres zu tun. Und er will zweitens nicht durch infame politische Ereignisse davon abgehalten werden.« Das war 2006!

Joochen Laabs hat weiter über Bäume nachgedacht und nicht nur über Landschriften geschrieben, und er hat sich dabei nicht von bedrückenden politischen Weltlagen abhalten lassen. Das soll auch weiter so sein!

Joochen Laabs: Ungerechtfertigtes Lamento. Gedichte. Quintus-Verlag. 112 S., geb., 18 €.

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