Im Kinderauge des Betrachters

Fotoausstellung »Kinder der Welt« in der Potsdamer Landesbibliothek

  • Wilfried Neiße
  • Lesedauer: 3 Min.

Zwischen 1986 und 2016 ist Klaus-Dieter Zentgraf in seiner Urlaubszeit durch die Welt gereist und hat mit der Kamera Porträts von Kindern aufgenommen. »Kinder der Welt - 30 Jahre politische und soziale Fotografie« ist der Titel einer Ausstellung, die der in Wilhelmshorst lebende Staatswissenschaftler Ende Juni im Foyer der Stadt- und Landesbibliothek in Potsdam eröffnet hat. Die Vielfalt seiner Quellen ist beeindruckend. Dem Besucher begegnen Kinder aus Indien, Sri Lanka, Ägypten, Kenia, Marokko, Syrien, Thailand, Kuba, Mongolei, Vietnam und Mexiko.

»Don’t make eye contact.« Suche keinen Blickkontakt. Das ist eine der zehn Regeln, mit denen man sich als Besucher angeblich durch New York bewegen soll. Die Bilder von Zentgraf zeigen, dass es noch Weltgegenden gibt, die sich dergleichen Regeln nicht unterwerfen. »Seine« Kinder blicken offen und neugierig in die Linse. Zentgraf wahrte immer die Distanz, behandelte sie respektvoll und als Persönlichkeiten. Er weidete sich auch nicht an Armut oder Absonderlichkeiten. »Damit haben meine Bilder nichts zu tun.«

Die Welt dreht sich heute scheinbar schneller, alles zappelt, es ist, als sei der gegenwärtige Augenblick so hassenswert, dass er möglichst rasch überwunden und vergessen werden soll. So gesehen ist Zentgrafs Arbeit altmodisch. Seine Fotos sind Schwarz-Weiß-Aufnahmen, er setzt sich bewusst ab von der Hochglanz- und Farbfotografie. Seine Bilder sind auch nicht immer technisch einwandfrei. Dadurch gewinnen die Motive seltsamerweise an Überzeugungskraft, man könnte wohl immer noch nachweisen, dass der Mensch dem verwackelten Schwarz-Weiß-Foto mehr Glauben schenkt als dem bunten, »nachbearbeiteten«. Die Motive sind ihm zufällig begegnet, waren die von ihm geschätzten »Momentaufnahmen«. Er bekennt: »Nur für ein Prozent habe ich bezahlt.«

Im Foto sieht Zentgraf die Möglichkeit, »in die Seele eines Kindes zu blicken«. Dass keineswegs allen seinen kleinen Darstellern »der Himmel voller Geigen hängt«, ist auf Zentgrafs Fotos abzulesen. Wenn auf den Indienmotiven die kleinen Jungen herausfordernd blicken und die Mädchen freundlich-schüchtern, dann zeichnet sich da eine gesellschaftliche Einteilung ab, die ihr Leben als Erwachsene prägen wird. Eine merkwürdige Vorstellung auch dies: Die meisten der Kinder, denen der Betrachter heute in der Potsdamer Bibliothek die Augen blicken kann, sind heute längst erwachsene Menschen, die selbst Kinder haben.

»Es gibt 2,5 Milliarden Kinder auf der Welt, die alle Ausbildung, Arbeit und Konsum wollen«, sagt Zentgraf. Und sie wollen »leben wie die Kinder in Amerika«. Sicher, ohne Zweifel, und dann wird das Ganze als Weltzerstörung enden. Vielleicht ist die einzig mögliche Zukunft doch in der Art und Weise vorgezeichnet, wie der afrikanische Bauer wirtschaftet, mutmaßt der Fotograf.

Klaus-Dieter Zentgraf arbeitet vielseitig, er hat unfassbare Materialmengen angehäuft. Parallel zur Kinderausstellung stellte er eine dreibändige Sammlung unter dem Titel »Der leise Blick - Politische und soziale Fotografie« vor, mit sage und schreibe mehr als 1200 Fotos.

Es ist ihm zu wünschen, dass es noch Menschen gibt, die sich für seine Bildersammlungen Zeit nehmen. Ein weiteres Arbeitsfeld stellt für ihn das Schienennetz Brandenburgs dar. Er kümmert sich umfassend um die Bahnhöfe im Bundesland oder vielmehr darum, was von ihnen noch übrig geblieben ist. Mit der von ihm betreuten und dokumentierten »Kulturlandschaft Eisenbahn« beschäftigt er den Petitionsausschuss des Landtags.

»Kinder der Welt«, Fotoausstellung in der Stadt- und Landesbibliothek Potsdam, Am Kanal 47, Mo. 15 bis 19 Uhr, Di. bis Fr. von 10 bis 19 Uhr, Sa. von 10 bis 16 Uhr

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