Gericht erlaubt 300 Zelte in Altona und Entenwerder
Auch Kücheninfrastruktur kann aufgebaut werden / Schauspielhaus macht Türen für Protestierende auf
Update 22 Uhr: Auch im Camp Altona 300 Zelte erlaubt
Am Mittwochabend urteilte das Oberverwaltungsgericht, auch im Camp Altona 300 Schlafzelte zu erlauben – ebenso wie in Entenwerder. Die Aktivisten jubelten, inzwischen sind mehrere Reisebusse angekommen, etliche Zelte stehen. »Ich nehme an, dass die Unterstützung der Angereisten durch das Schauspielhaus und die Evangelische Kirche zu einem Umdenken geführt hat«, so Robert Jarowoy von der LINKEN Altona, der das Camp zunächst angemedet hatte. Erlaubt wurden die Zelte jetzt jedoch nicht für das ursprünglich angemeldete Zeltlager, sondern für die Protestkundgebung »Sleep-In« gegen das Schlafverbot vom Dienstag, für die die Polizei erst zwei, dann zehn Zelte zugelassen hatte. Die für 300 Schlafzelte und Küchen zugelassene Fläche befindet sich nun nur wenige Meter vor der ursprünglich angemeldeten Campfläche. Für Jarowoy war dieses Gerichtsurteil längst überfällig: »Nun ist dieser gesetzeswidrige Schwachsinn endlich beendet.«
Update 16.10: Oberverwaltungsgericht erlaubt 300 Zelte
Das Hamburger Oberverwaltungsgericht hat teilweise die Nutzung von Schlafzelten im Protestcamp Entenwerder erlaubt. Demnach dürften 300 Zelte für jeweils zwei bis drei Personen aufgebaut werden. Auch Waschgelegenheiten sowie eine Küche zur Selbstversorgung sind erlaubt. Beantragt hatten die Organisatoren 1500 Zelte – das wurde vom Gericht aber abgelehnt.
Update 14.30 Uhr: Tausend Gestalten laufen durch Hamburg
Hunderte Menschen in verkrusteten und grauen Anzügen ziehen durch Hamburg. Sie sind Teil der Kunstperformance »1000 Gestalten«. Laut der Webseite der Aktion stehen die Figuren für »eine Gesellschaft, die sich ihrer Hilflosigkeit vor den komplexen Zusammenhängen der Welt ergeben hat und nur noch für das eigene Vorankommen kämpft«. Die Gestalten erinnern sowohl an Zombies als auch an die grauen Herren aus Michael Endes Momo.
Update 10.50 Uhr: Verwaltungsgericht: Nur zehn Zelte auf Altona-Camp erlaubt
Das Hamburger Verwaltungsgericht hat in einem Eilverfahren entschieden: Die Beschränkungen der Versammlungsbehörde auf dem Protestcamp in Altona bleiben in Kraft. Demnach dürfen maximal zehn »symbolische« Schlafzelte aufgestellt und als »Ruherückzugszone« genutzt werden. Die Nutzung von Grills und Kochstellen, die über »Selbstversorgung« hinausgehen, bleibt untersagt.
Laut der Urteilsbegründung sei bei einer Zulassung von weiteren Zelten mit »erheblichen Gefahren für die Gesundheit und das Leben der Versammlungsteilnehmer« zu rechnen. Es gebe kein Konzept der sanitären Einrichtungen, der Abfallentsorgung und der Brand- wie Unfallverhütung.
Zudem sei eine Begrenzung der Schlafzelte notwendig, da sonst eine »zu befürchtende Eigendynamik« der Versammlung »Gefahren« auslösen könnte. Auch müsse die Belastung der Beamten berücksichtigt werden: So stehe »angesichts der bestehenden komplexen Einsatzlage zwar eine erhebliche, aber dennoch begrenzte Anzahl von Polizeikräften zur Verfügung«.
Das Verwaltungsgericht weist aber daraufhin, dass in der Kürze der Zeit nicht festzustellen war, ob die Beschränkungen der Versammlungsbehörde sich als rechtmäßig erweisen würden. Die kurzfristige Entscheidung Falle zu Lasten des Antragstellers aus.
G20: Wasserwerfer gegen Massencornern
Berlin. Wie lief die Nacht in Hamburg? Vor allem am Neuen Pferdemarkt im Stadtteil St. Pauli rückte die Polizei an und setzte Wasserwerfer gegen Gipfelkritiker ein. Die hatten ihren Protest auf die Straße getragen, nachdem die Behörden erneut mit allerlei Mitteln versucht hatten, die Camps zu verhindern. Hunderte Menschen waren zuvor einem Aufruf zu einem »hedonistischen Massencornern gegen G20« gefolgt, um auf den Straßen mit Musik und Getränken gegen den Gipfel zu demonstrieren. Ein Polizeisprecher beschrieb die Situation als »Massenproblem«. Beamte begannen gegen 23 Uhr, dagegen vorzugehen: Wie die Deutsche Presse-Agentur es formuliert, rückten »die Beamten am Dienstagabend fast im Zehn-Minuten-Takt« aus und setzten Wasserwerfer dabei ein. Danach beruhigte sich die Lage wieder. Am Mittwochmorgen sagte ein Sprecher der Polizei dann: »Die Stunden nach Mitternacht waren extrem ruhig.«
Als weiteres Zeichen des Protests hängten Aktivisten die Fassade des Schauspielhauses mit Plakaten teilweise zu. Neben dem Eingang klebten Parolen wie »Bühne frei für Isomatten« und »Protest is not a crime«. Wie unter anderem das globalisierungskritische Netzwerk Attac und ein Journalist des NDR berichten, hat das Schauspielhaus Hamburg ein Teil seines Gebäudes für die G20-Gegner geöffnet. Von einer Besetzung im engeren Sinn kann nicht gesprochen werden. Die Initiative soll vom Geschäftsführer des Hauses, Peter F. Raddatz, ausgegangen sein. Wie es heißt, durften die Aktivisten zunächst für eine Nacht bleiben. Danach werde man die Lage neu bewerten, so Raddatz in einem Videostatement auf Twitter. Augenzeugen*innen vor Ort berichteten, dass die Polizei zunächst versucht hatte, die Gipfelgegner am Betreten des Schauspielhauses zu hindern.
In der Frage der Protestcamps blieb Hamburgs Innensenator Andy Grote von der SPD derweil betonhart: Es könne Protestcamps zu Versammlungszwecken geben, aber keine Übernachtungscamps, weil dahinter die militante autonome Szene stehe, so seine Argumentation. Grote sagte, es gebe zwar viele, die auch friedlich campen wollten. »Aber wir können sie nicht von potenziellen Gewalttätern trennen.« G20-Kritiker hatten am Dienstag dennoch weitere Zelte aufgebaut - doch die Polizei ging wie schon am Sonntag bei einem Protestcamp auf der Elbhalbinsel Entenwerder vor und räumte mehrere Zelte auf einer Grünfläche im Stadtteil Altona weg. Unter dem Protest von Hunderten Menschen entfernten die Beamten die Zelte, in denen zum Teil noch Demonstranten saßen. »Es ist keine Versammlung, es ist wildes Campen in einem Hamburger Park«, so ein Polizeisprecher. Auch hier gab es Scharmützel mit der Polizei. Die Aktivisten sprachen auch von Verletzten, von unverhältnismäßigem Vorgehen der Beamten und von Schikanen gegen Journalisten und Anwälte. Nach Schilderungen von dpa-Reportern setzte die Polizei Pfefferspray oder Reizgas ein.
Bei der Suche nach Plätzen zum Zelten werden die G20-Gegner laut Rote-Flora-Anwalt Andreas Beuth von Kirchengemeinden unterstützt. »Es gibt viele stille Besetzungen, die im Moment noch nicht öffentlich gemacht werden. Es gibt aber, da die Kirche jetzt umgeschwenkt ist (...), auch Raum in den Kirchen und vor allem auf den Grünflächen um die Kirchen herum.« Größte Zelt-Aktion war eine Mahnwache von TV-Koch Ole Plogstedt und rund 150 Aktivisten. Bei dem »Sleep-In« unter dem Motto »Schlafen gegen das Schlafverbot« stellten die Teilnehmer im Altonaer Volkspark mehr als 30 Zelte zum »Schauschlafen« auf. »Mich regt es tierisch auf, dass einfache Sachen wie Schlafen oder eine Gemeinschaftsverpflegung verboten werden«, sagte Plogstedt. Ein Polizeisprecher erklärte am Abend, der Aufbau von 34 Zelten sei als »Symbol für die Art ihrer Versammlung« in einem Kooperationsgespräch gestattet worden. Er fügte aber hinzu, dass die Polizei dass Übernachten in den Zelten nicht zulassen werde.
Auch am Mittwoch wollen G20-Kritiker protestieren und eine andere Politik fordern. Im Mittelpunkt steht ein Alternativgipfel in der Kulturfabrik Kampnagel. »Die G20 verteidigt ein System, das die soziale Ungleichheit auf die Spitze treibt«, teilten die Organisatoren mit. Geplant sind zahlreiche Workshops und Podiumsdiskussionen zu Problemen wie Armut, Flucht, Naturzerstörung, Rassismus und Frauenfeindlichkeit. Beim zweitägigen Alternativgipfel werden bis zu 1500 Teilnehmer erwartet. Eingeladen hat ein breites Bündnis - darunter das globalisierungskritische Netzwerk Attac, die Grünen-nahe Heinrich-Böll-Stiftung, die Naturschutzorganisation Robin Wood, die Interventionistische Linke und der Flüchtlingsrat. In der Hamburger Innenstadt werden derweil Aktivisten durch die Straßen ziehen und ein Zeichen für mehr Solidarität und politische Partizipation senden. Am frühen Abend startet dann an den Landungsbrücken eine Nachttanzdemo unter dem Motto »Lieber tanz ich als G20«.
Kanzleramtsminister Peter Altmaier verteidigte unterdessen das Treffen als politische Notwendigkeit. »Solche Gipfel-Formate sind wichtiger als je zuvor«, sagte der CDU-Politiker der »Passauer Neuen Presse«. Wegen der internationalen Verflechtungen in allen Bereichen von der Sicherheit bis zu Wirtschaft, Umwelt- und Klimaschutz gebe es wichtige Themen, die sich nur gemeinsam lösen ließen. Zum Treffen der wichtigsten Industrie- und Schwellenländer am Freitag und Samstag werden in Hamburg mehr als 100.000 Gegendemonstranten erwartet.
Oliver Malchow, Vorsitzender der Gewerkschaft der Polizei, hält eine Deeskalationsstrategie im Umgang mit militanten G20-Gegnern in Hamburg für »fehl am Platz«. »Eine Deeskalationsstrategie kann nur da funktionieren, wo beide Seiten das wollen und zulassen«, sagte Malchow der »Rheinischen Post«. Die Polizei wolle das für alle 30 angemeldeten Demonstrationen. »Angesichts der Rhetorik linker Aktivisten und Namen wie ,Welcome to Hell' für Veranstaltungen müssen wir aber von einem hohen Gewaltpotential ausgehen«, sagte Malchow. »Dann ist Deeskalation fehl am Platz«, so der GdP-Chef. Agenturen/nd
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.