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Berlin-Lichtenberg: Vom Stasibüro zum Hausprojekt
Die Umnutzung von Büroflächen hat Potenzial – wenn man sie kreativ nutzt, wie die »Magda« in Lichtenberg
Wir sind eingekeilt zwischen Behörden», sagt Jan Müller, «nur ganz oben hat man einen Blick über den Knast, über die Stasi-Unterlagenbehörde, über das Finanzamt hinweg.» Müller sitzt im Hof der «Magda», einem Hausprojekt in Lichtenberg in der namensgebenden Magdalenenstraße. Ein Teil der rund 60 Hausbewohner*innen ist zusammengekommen und grillt auf der Wiese zwischen einer Trauerweide und der Remise.
Der siebenstöckige Plattenbau hat eine lange Geschichte, vor allem als Büro. «Nach der Stasi kam das Bezirksamt und dann stand es lange leer», erklärt Müller. Vor rund zehn Jahren hat die Hausgemeinschaft das Gebäude direkt gegenüber der JVA für Frauen gekauft und etwas geschafft, was aktuell als Ansatz für die Lösung der Wohnungskrise heiß diskutiert wird: Leerstehende Büroflächen zu bezahlbarem Wohnraum zu machen.
Die Zahlen für Berlin sind verlockend. Rund 1,5 Millionen Quadratmeter Büro stehen leer – mindestens. Unabhängig vom Leerstand hat eine Kurzstudie der Bulwiengesa, einem Analyseunternehmen der Immobilienbranche, zwei Millionen Quadratmeter identifiziert, die für eine Umnutzung infrage kommen. Theoretisch sind das 30 000 neue Wohnungen. Dabei sind nur Flächen in dezentralen Lagen berücksichtigt worden. Denn trotz steigendem Büroleerstand bleibe, so die Bulwiengesa, die Nachfrage nach Büroflächen in zentralen Lagen bestehen.
Nicht nur die berechnete Fläche ist stattlich, sondern auch die von Bulwiengesa berechnete «wirtschaftliche» Miete von 22,4 Euro pro Quadratmeter. Preislich in eine ähnliche Richtung dürfte ein jüngst von Berlins größtem Anbieter für Büroflächen GSG angekündigtes Projekt gehen. Dem RBB sagte ein Sprecher Ende Mai, man plane rund 5000 Quadratmeter Bürofläche in Kreuzberg umzunutzen. Ein ähnliches Projekt soll in Charlottenburg-Wilmersdorf entstehen. Wohnraum im eigentlichen Sinne kommt dort aber nicht, sondern sogenanntes «Commercial Living», möbliertes Wohnen auf Zeit. Mietpreisbegrenzungen gelten für solche Wohnformen nicht, Menschen auf Wohnungssuche helfen solche Angebote nicht.
Es gibt aber auch ein Beispiel für eine gelungene Umnutzung von einem landeseigenen Wohnungsunternehmen. Die Gesobau hat ihre ehemalige Landeszentrale in Reinickendorf umgewandelt. In dem Verwaltungsgebäude sind 66 Wohnungen für Senior*innen entstanden. Fertiggestellt wurde das Projekt Ende 2023. Wie die Pressestelle der Gesobau «nd» mitteilt, bewegt sich der Mietpreis der frei finanzierten Wohnungen zwischen neun und elf Euro pro Quadratmeter. Die gemachten Erfahrungen mit der Umwandlung kann das Unternehmen allerdings nicht erneut anwenden. «Tatsächlich haben wir als Gesobau keine vergleichbaren Gebäudepotenziale im Bestand», so die Pressestelle.
Auch wenn die Hausgemeinschaft der «Magda» ihr Haus gekauft hat, hat sie kein Eigentum geschaffen. Die Bewohner*innen zahlen Miete und diese ist niedrig: «Wir zahlen alle gleich viel: 5,44 Euro kalt pro Quadratmeter. Wir haben letztes Jahr erhöht, weil sich die Kredite erhöht haben», erklärt Jan Müller. Das Hausprojekt ist ein Projekt des Mietshäusersyndikats, das sich auf die Fahne geschrieben hat, Häuser dem Immobilienmarkt zu entziehen. Eigentümer ist eine eigens gegründete GmbH, an der das Mietshäusersyndikat Gesellschafter ist.
Die Miete wird verwendet, um Kredite abzubezahlen. 2015 hat die alte Platte 1 044 000 Euro gekostet. Dazu haben die Bewohner*innen rund 1,2 Millionen Euro investiert. Der Umbau war weniger umfangreich, als man erwarten würde. «Das Teuerste waren die Innentreppen», sagt Jan Müller. Ansonsten wurden alle Fenster ausgewechselt, mehrere Bäder und Wasserstränge eingebaut sowie das Dach und die Bodenplatte gedämmt und ein Dämmgürtel ums Haus gezogen.
An der inneren Struktur haben die Bewohner*innen wenig geändert: Die alten Büroräume sind jetzt 16 Quadratmeter große Zimmer. «Alle haben gleich große Zimmer, da gibt es keinen Streit», sagt Müller. Man habe ein paar Wände rausgenommen und anstatt dessen Stahlträger eingesetzt, damit es neben den privaten Zimmern auch größere Gemeinschaftsflächen gibt, in denen sich die einzelnen WGs treffen können.
Zum Wohnraum zählen in der «Magda» auch Flächen, die in Bürogebäuden sonst keine Rolle spielen: «Bei uns ist der Flur ja auch Wohnraum, der zum Teil in die Küchen integriert wird.» So sind in der «Magda» verschiedenste Wohnformen möglich: Von der 12er WG, bis hin zur kleinsten Wohneinheit für eine Person ist im Hausprojekt alles dabei. Auch eine offiziell behindertengerechte Wohnung findet sich im Haus.
Trotz Umwandlung gibt es noch immer Büros im Gebäude: «So geben wir Initiativen die Möglichkeit, von den billigen Mieten zu profitieren. Das ist auch unser politischer Anspruch», erklärt Müller. Unter anderem die Bundesgeschäftsstelle der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten und das Demokratische Jugendforum Brandenburg haben ihren Sitz in Lichtenberg.
Für Eike Roswag-Klinge, dem Präsidenten der Berliner Architektenkammer, könnte das Hausprojekt ein Vorbild sein. «Dort wurde mit einfachsten Mitteln sehr günstiger Wohnraum geschaffen», sagt er im Gespräch mit «nd». Es gebe viele Leute, die nicht das Standardprogramm der großen Wohnungsunternehmen bevorzugen würden und vielleicht auch gerne in größeren WGs oder anderen Wohnformen leben würden, so Roswag-Klinge.
Vergleichbare leerstehende Objekte werde man zwar nicht im Zentrum finden, aber in periphereren Lagen, etwa in Gewerbegürteln in Marzahn oder Mariendorf oder Reinickendorf. «Mit Kreativität kann man in solchen Beständen sehr viel erreichen.»
Auch ansonsten sehe er viel Potenzial in der Umwandlung, so der Architektenkammer-Präsident, auch weil der Leerstand vermutlich größer sei, als bekannt.«Administrative Vermieter*innen und Träger*innen von großen Beständen versuchen in der Regel ihre Leerstände nicht transparent zu machen, um eine Abwertung der Gebäude zu verhindern.» Er schränkt aber auch ein: Ein Teil des Leerstandes, der in die ermittelten Zahlen mit einfließe, komme daher, dass in vielen Fällen einzelne Einheiten in bestehenden Gebäuden leer stünden, mit geeigneten Methoden und dem zugehörigen Rechtsrahmen ließen sich auch diese aktivieren.
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Ökonomische Fragen spielen für die Möglichkeit der Umwandlung eine Rolle: «Im Bürobereich erzielt man oft eine höhere Miete und Renditeerwartung und tut sich sehr schwer vom Büro auf Wohnen überzugehen», so Roswag-Klinge. Und nicht zuletzt gibt es rechtliche Schranken: Wenn Büros in Gewerbegebieten leerstehen, kann man diese nicht einfach so umwidmen. «Das gibt das Baurecht nicht her», so Roswag-Klinge. Lärmschutzregeln, mangelnde Infrastruktur und Verkehrsanbindung stehen dem im Weg. «Da müsste man rechtliche Rahmenbedingungen verändern, um Wohnraum auch in diesen Zwischenzone zu ermöglichen»
In Berlin gibt es seit 2017 in der Baurechtsordnung das sogenannte «Urbane Gebiet». Dort ist Wohnen sowie die Unterbringung von Gewerbebetrieben und sozialen, kulturellen und anderen Einrichtungen, die die Wohnnutzung nicht wesentlich stören, möglich. Wie die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung «nd» mitteilt, kommen die urbanen Gebiete bei der Entwicklung neuer Stadtquartiere regelmäßig zum Einsatz. Und auch bestehende Gewerbegebiete wurden so planungsrechtlich verändert, zuletzt das Quartier «Neue Mitte» im Bezirk Mitte am Charlottenburger Verbindungskanal.
Auch wenn es diese planungsrechtlichen Instrumente gibt, sieht der Stadtentwicklungssenat nicht viel Potenzial für die Behebung der Wohnungskrise: «Von einer möglichen Umnutzung leerstehender Büroflächen ist, wenn überhaupt, nur ein sehr geringer Beitrag zur Entlastung zu erwarten.» Die Zahlen der vergangenen Jahre bestätigen das: Im Schnitt seien über die letzten fünf Jahre jährlich knapp 2000 Wohnungen durch Maßnahmen in bestehenden Gebäuden entstanden. Die Bandbreite reicht von der Umnutzung großer Gebäudeensembles bis zum kleinteiligen Ausbau des Daches oder einer Remise.
Für Roswag-Klinge ist das eine Frage des politischen Willens. Berlin habe unglaublich viel Luft, den Bestand zu verdichten oder umzuwandeln, so der Architektenkammer-Präsident. «So wie die ›Magda‹ wird das eine Wohnungsbaugesellschaft nur schwer hinkriegen, aber vielleicht müsste man sich solche Low-Tech-Strategien aneignen, um bezahlbaren Wohnraum zu schaffen.» Wenn man komplette Leerstände in peripheren Lage habe, könnte es für das Land Berlin besser sein, solche Bestandsimmobilien anzukaufen und zu transformieren, unterstützt mit einem Förderprogramm für Genossenschaften etwa. «Auch aus ökologischer Perspektive, die ja im Moment nicht so stark diskutiert wird.»
Auch die «Magda» wäre vermutlich abgerissen worden, hätte die Hausgemeinschaft das Gebäude nicht gekauft, meint Jan Müller. «Wir haben daraus Wohnraum für 60 Leute gemacht, der attraktiv ist, der billig ist, der kollektives und auch Einzelwohnen möglich macht.» Ob er anderen das Vorgehen empfehlen würde? «Auf jeden Fall!»
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