Ein Klima marktkonformer Friedhofsstille

Das Wahlprogramm der Union will Umweltschutz allein dem Markt überlassen, kritisiert Eva Bulling-Schröter

  • Eva Bulling-Schröter
  • Lesedauer: 4 Min.

Nur noch zweieinhalb Monate sind es bis zu der Bundestagswahl. Am vergangenen Wochenende hat Angela Merkel endlich ein Programm dazu auf den Tisch gelegt. Es spielt die alte Leier konservativer Neoliberalisten, wie ein orwellscher Werbekatalog einer perfekten Welt liest sich das schwammige Unions-Pamphlet. »Heute leben wir im schönsten und besten Deutschland, das wir je hatten«, seiert es einem dümmlich-schwarz-rot-gold entgegen.

Dünger für die heute blühenden Landschaften sei die »große politische Kraftanstrengung, um die schöpferischen Kräfte unseres Landes und seine wirtschaftliche Dynamik neu zu entfalten« gewesen. Die Partei der Kohl-Musterschülerin Merkel meint damit: Agenda 2010 (der größte Sozialabbau in der Geschichte der Bundesrepublik), Rentenreform 2007 (Schleifung der gesetzlich-öffentlichen Rentensysteme durch die Privatisierung der Altersvorsorge, die in Zukunft Millionen in die Altersarmut treibt), Aufweichung von Gewerkschaftsmacht und Kündigungsschutz durch das weiter wachsende Heer der Zeit- und Leiharbeiter, Aufstocker, Drei-Jobs-Malocher und prekären Selbstständigen.

Gemeint ist die freie Bahn für Finanzkapital etwa in der Immobilienwirtschaft, der Ausverkauf der Großstädte an Miethaie. Die heile Welt der Merkelianer meint weniger Steuern für Reiche, Schuldenschranke zur Knebelung der öffentlichen Haushalte, Privatisierung von Autobahnen und Schulen. Glaubt man also der orangenen Merkel-Partei und Seehofers blauweißem Amigo-Wahlverein aus Bayern, so verdanken wir dieses Paradies auf Erden »der Übernahme der Regierungsverantwortung durch Bundeskanzlerin Angela Merkel«, wegen ihr ginge »die Entwicklung unseres Landes in die richtige Richtung«.

Auch im Umweltbereich und Klimaschutz nur eitel-warmer Sonnenschein und blumige Wortwolken. »Unsere Flüsse und Seen sind wieder sauber, unser Himmel ist wieder blau.« Schließlich sei »die Bewahrung der Schöpfung seit jeher ein Kernanliegen von CDU und CSU«. Dank Merkel, werden wir an ihre Zeit als Umweltministerin erinnert, »haben wir das Waldsterben und den sauren Regen beendet und dafür gesorgt, dass sich das Ozonloch wieder schließt«. Unfassbar.

Kein Wort über das Verfehlen der deutschen Klimaziele. Kein Wort über gestiegenen CO2-Ausstoß im Straßenverkehr, über jährlich 44.000 vorzeitige Todesfälle in Deutschland durch Feinstaub, fast eine halbe Million in Europa. Nichts über den Abgas-Skandal-Filz zwischen Autokonzernen und Regierung, die nichts von der Gesundheitsschädlichkeit von Stickstoffoxiden aus Dieselmotoren wissen will. Kein Wort darüber, dass Deutschlands Klimagas-Emissionen seit 2009 konstant hoch sind. Nichts zum Flächenfraß und dem Rückgang von Grünland, den zu hohen Nitratwerten im Grundwasser, der Eutrophierung der Ostsee. Kein Wort über den unglaublich hohen Ressourcenverbrauch, den wir in Deutschland heute im Weltvergleich noch immer haben. Über 16 Tonnen an Eisenerzen, Biomasse, Öl, Kohle und Mineralien »frisst« ein Bundesbürger jedes Jahr durch Autokauf, Spülmaschinengebrauch und Einweg-Kaffee-Becher-Bequemlichkeit, ein Vielfaches der Menschen aus Indien und China, geschweige denn Afrika und Südamerika.

Konkrete Vorschläge für mehr »Bewahrung der Schöpfung«, da herrscht bei den Christinnen und Christen im Kanzleramt marktkonforme Friedhofsstille. Dem Marktgott bloß nicht ins Handwerk pfuschen. »Wir lehnen dirigistische staatliche Eingriffe in diesem Bereich ab und setzen stattdessen auf marktwirtschaftliche Instrumente. Damit das Klima Zukunft hat.« Sogar die gute alte SPD hat da mehr auf Lager, fordert im Wahlprogramm ein Klimaschutzgesetz mit verbindlichen Klimaschutzvorgaben für die Wirtschaft, ein echtes Frackingverbot, einen CO2-Mindestpreis für EU-Klima-Emissionszertifikate.

Nicht der Gesetzgeber soll Politik machen, das ist das offene Credo der Marktgläubigen um Pfarrerstochter Merkel. Wenn es der Markt allein nicht richtet, so der Blick nach oben (nicht zu Gott, zu Aktienkursen und Fondsmanagern), bleibt die ferne Erlösung durch noch fernere Erfindungen. Denn der »jahrzehntelange Raubbau« (Jahrzehnte? Jahrhunderte!) an den Ressourcen der Natur, staunt der Wahlprogrammleser, »können wir nur durch den Einsatz modernster Technologie lösen. Wir wollen deshalb beides: Gute Umwelt und gute Wirtschaft«.

Statt Politik zu machen nährt die Volkspartei die falsche Hoffnung auf ein Rettungswunder aus dem Ingenieurslabor. Auch hier sitzt die Union einem Irrglauben auf. Eine Effizienzrevolution plus mehr Markt ist eben nicht gleich des Naturschutzes letztes Wort. Ohne Suffizienz, also weniger Konsum, weniger Verbrauch – weniger statt mehr – ohne diese Formel wird die ökologische Krise nirgends gelöst. Das wussten schon die Verfasser des berühmten Brundtland-Berichtes, der Gründungsschrift zeitgenössischer Nachhaltigkeit von 1987. Die Ausbeutung von Natur und Mensch wird auf dem Weg von noch mehr Wachstum und Ressourcenhunger nicht beendet. Nicht in Deutschland. Nicht im Rest der Welt. Und erst recht nicht mit neoliberalen Konservativen.

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