Tarifbindung hilft gegen Niedriglöhne

IAQ-Studie zur Einkommensungleichheit

  • Lesedauer: 2 Min.

Duisburg. Die Schere zwischen Arm und Reich in Deutschland ist größer geworden, trotz des wirtschaftlichen Aufschwungs. Als wichtigsten Grund für die Kluft bei den Einkommen nennt eine neue Studie die abnehmende Tarifbindung. Diese habe überhaupt erst die Entstehung eines großen Niedriglohnsektors möglich gemacht. Immer weniger Betriebe halten sich an die zwischen Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden abgeschlossenen Branchentarifverträge. »Wir brauchen wieder ein starkes Tarifsystem, um die Einkommensungleichheit zu verringern«, stellt das Institut Arbeit und Qualifikation (IAQ) der Universität Duisburg-Essen fest.

Die IAQ-Forscher Gerhard Bosch und Thorsten Kalina haben EU-weit den engen Zusammenhang zwischen dem Anteil von Niedriglohnbeschäftigten und der Tarifbindung untersucht und dafür aktuelle Daten von Eurostat verwendet. In Ländern mit hoher Tarifbindung in den 80er Jahren, wie in Deutschland oder Schweden, waren nicht nur die Lohnunterschiede geringer, sondern auch die Produktivität zwischen großen und kleinen Betrieben wich weniger voneinander ab als in Ländern »mit dezentralisierten und fragmentierten Verhandlungssystemen«, wie den USA oder Großbritannien. Flächentarife schränkten die Optionen der Betriebe ein, aus den Tarifsystemen auszusteigen, und zwangen sie, ihre Produktivität an die Löhne anzupassen - Tarifpolitik galt als »Produktivitätspeitsche«.

In Deutschland genossen vor der Wiedervereinigung rund 85 Prozent der Beschäftigten eine Tarifbindung, ab Mitte der 90er Jahre sank diese Zahl schrittweise auf 59 Prozent in Westdeutschland und nur noch 49 Prozent in Ostdeutschland. Gleichzeitig gab es mehr und mehr Niedriglohnbeschäftigte.

Politik in der Verantwortung

Geschwächt wurde das Tarifsystem dadurch, dass die Gewerkschaften nach der Abwicklung der ostdeutschen Wirtschaft an Verhandlungsmacht verloren. Es sei schwierig gewesen, das westdeutsche Tarifmodell auf die weniger produktiven Ost-Betriebe zu übertragen, erklären die Forscher. Viele Unternehmen scherten aus den Arbeitgeberverbänden aus, lagerten Tätigkeiten in nicht tarifgebundene Gesellschaften oder auf Werkvertragnehmer vor allem aus Osteuropa aus, die nicht an deutsche Tarife gebunden waren. »Das vormals starke Tarifsystem wurde so löchrig, dass immer mehr Arbeitgeber sich aus der Verantwortung stehlen konnten und keine Tarifverträge mehr abschlossen«, analysieren die IAQ-Wissenschaftler.

Der DGB sieht die Politik in der Pflicht, die Rahmenbedingungen zu verbessern. Er schlägt 14 konkrete Maßnahmen vor. So müsse der Gesetzgeber die Möglichkeit einschränken, als Unternehmen ohne Tarifbindung Mitglied in Arbeitgeberverbänden zu werden. Zudem fordert der DGB ein Verbandsklagerecht, um gegen Tarifbruch vorzugehen. nd

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