Altmeister des russischen Undergrounds

AuktYon in der Wabe

  • Mario Pschera
  • Lesedauer: 3 Min.

Anarchy v Rossij: Wenn Punkgitarren, New-Jazz-Bläsersätze und Polyrhythmen aufeinandertreffen, minutenlang ein psychedelischer Klaviersatz im Raum schwebt, ein Kinderspielzeug trötet und über allem die lyrische Stimme Leonid Fedorovs thront, dann sind AuktYon am Werke, die Altmeister des russischen Undergrounds. 1983 trat die Leningrader Gruppe erstmals offiziell auf den Plan, ohne sich freilich um die für Berufsmusiker obligatorische Spielerlaubnis zu kümmern. Die hätte man den jungen Rabauken, die sich wenig um Radiotauglichkeit und Kompatibilität zum »Russkij Rok« scherten, auch kaum erteilt.

1985 erschien das erste Album als Magnetbandkassette, das von der russischen Kritik sehr zurückhaltend aufgenommen wurde, im Westen hingegen einen Achtungserfolg erzielte. AuktYon traten in dem von zwei deutschen Enthusiasten 1988 gedrehte Film »Dawai Rock ’n’ Roll« über die russische Avantgarde-Szene auf, der einen Einblick in die bis dato hinter dem Eisernen Vorhang verborgene sowjetische Subkultur gewährte.

Ab 1989 tourte die Band durch die Länder der Sowjetunion, im Februar desselben Jahres stand sie mit »Va Banque« und »Zvuki Mu« zum ersten Mal in Berlin auf der Bühne, gastierte mit Viktor Tsojs »Kino« in Frankreich und lieferte den sowjetischen Medien einen fetten Skandal: Der Frontmann imitierte zu dem Song »NÖP-Mann« (eine Verhöhnung der Perestroika-Gewinnler) einen Striptease in hautfarbener Unterwäsche.

Von simpler Drei-Akkord-Musik mit einer Prise Provokation ist AuktYon weit entfernt, eher schimmert der Punkbegriff der New Yorker Szene der 1970er durch, das furchtlose Schöpfen aus allen Stilen, ausgefeilte Texte, die durchaus schon mit einem Warnhinweis versehen wurden, exzentrische Bühnenpräsenz und die Verbindung mit Theater und bildender Kunst. Dementsprechend wurde jeder Auftritt, jede Platte zum Gesamtkunstwerk, selbst eingefleischteste Fans wurden immer wieder überrascht. Geriet ihnen ein Album zu glatt, konnte das schon zu ernsthaften Zerreißproben führen.

Ab 1991 tourten AuktYon hauptsächlich durch Deutschland und Europa, ihr hierzulande produziertes Album »Ptitsa« (Vogel) wurde, in Russland neu herausgegeben, 1993 ein kommerzieller Erfolg - trotz mangelnden Hitradioformats. Der Erfolg stürzte die Gruppe zugleich in eine künstlerische Krise, sie veröffentlichte nur noch gelegentlich, ihre Mitglieder widmeten sich anderen Projekten. Erst 2007 erschien wieder ein reguläres Studioalbum, und die Bandmitglieder begannen wieder, gemeinsam zu touren. Ihr jüngstes Album heißt »Na Solntse« (Auf der Sonne), der gleichnamige Videoclip gewann auf dem Cannes Creativity Festival 2017 einen Bronzenen Löwen.

An diesem Donnerstag geben AuktYon ihr einziges, lang erwartetes Deutschlandkonzert in der »Wabe«. Der Klub macht sich seit Jahren schon um die Auftritte hochkarätiger Bands aus dem Osten verdient. Deshalb ein Hoch auf die »Wabe« und die deutsch-sowjetische Freundschaft - ohne Flaggen und Staatshymnen!

Konzert am 13. Juli, 20 Uhr, in der »Wabe«, Danziger Straße 101, Prenzlauer Berg

#ndbleibt – Aktiv werden und Aktionspaket bestellen
Egal ob Kneipen, Cafés, Festivals oder andere Versammlungsorte – wir wollen sichtbarer werden und alle erreichen, denen unabhängiger Journalismus mit Haltung wichtig ist. Wir haben ein Aktionspaket mit Stickern, Flyern, Plakaten und Buttons zusammengestellt, mit dem du losziehen kannst um selbst für deine Zeitung aktiv zu werden und sie zu unterstützen.
Zum Aktionspaket

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal