Gruppensex mit Opfer

Netzwoche

  • Tobias Riegel
  • Lesedauer: 3 Min.

Eines muss man der neuen Mannschaft der ehemaligen Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz - nun Volksbühne Berlin - lassen: Sie ist nicht gerade verzagt und lässt sich von falsch verstandener Diplomatie nicht ausbremsen. Chris Dercon in seinem Lauf hält darum weder Ochs noch Esel auf - und schon gar nicht der aktuelle Shitstorm, der nicht der erste ist und wohl nicht der letzte gewesen sein wird.

Auslöser in dieser Woche war die von Castorf-Unterstützern als feindliche Übernahme wahrgenommene Bespielung der Social-Media-Kanäle der Volksbühne durch die neue Truppe. Dabei wurden nicht nur die von der »alten« Volksbühne erarbeiteten »Likes« dreist eingeheimst. Es wurde auch mit einer mittlerweile viel zitierten Losung vorgeprescht, die führenden Werbepropagandisten zur Ehre gereicht hätte: »Die Sinne schärfen. Sich ins Detail versenken. Das Gesamte vom kleinsten Teil denken. Lauschen. Flüstern. Klein werden. Raus aus dem Totalzusammenhang. Kommt zusammen!«

In der Haut des für solch gähnend leere PR-Prosa verantwortlichen Social-Media-Autors möchte man nun lieber nicht stecken: Twitter-User Richard Blaha findet etwa, das höre »sich ja an wie eine Einladung zu einer esoterischen Gruppensexparty...«; die »Berliner Zeitung« schreibt, der Spruch passe wahlweise zu Massagestudios, der Autoindustrie oder religiösen Splittergruppen und findet, die jetzige Volksbühne verstärke so das Bild »als trotzige, verbitterte Kommunikations-Inkompetenz-Festung«; das »nd« sprach von einer »Mischung aus armseligem Esoterikgestammel und Bedeutung simulierendem Therapiestundenblabla« und auf Facebook schreibt Meentje Nielsen stellvertretend für die Gemeinde: »Schärft eure Sinne, versenkt euch ins Detail und dann bastelt euch erstmal eine eigene Facebook-Seite und sucht euch eure eigenen Freunde. Tschüss!«

Doch die »neue« Volksbühne bliebe sich in ihrem auftrumpfenden Kurs nicht treu, versuchte sie nicht, auch noch dieses Desaster als geistreiche und gewollte Provokation und als irgendwie kantig und darum erfolgreich darzustellen: »Welch ein aufregender Start auf den sozialen Netzwerken. Vielen Dank an alle Mutigen, die sich getraut haben, gegen die vorherrschende Meinung zu argumentieren!«, kultiviert die Mannschaft ihren Opfermythos ganz aktuell auf Facebook. Doch diese Vereinnahmung der Kritiker wird unter anderem von Ulrike Düregger auf Facebook aufgedeckt: »In ›aufregend‹ wird ›aufgeregt‹ verwandelt. (...)Hier gibt es klare und mehrheitliche Kritik. Aber die Leitung bzw. PR-Verantwortlichen ziehen es vor, anstatt sich auch nur ansatzweise damit auseinanderzusetzen, es hübsch wörtlich zu umschiffen und es am Ende gar noch für sich als positiv zu verkaufen. Sehr aalglatt.«

Eindeutig geht Arndt Strak mit der Opferhaltung der Dercon-Crew ins Gericht: »Leute, ihr wollt schon scheitern? Bitte konzentriert eure Kräfte und zeigt, ob ihr Klasse und Talent habt. Aber nicht dieses falsche Opferspiel. Wer Opfer und wer Nutznießer ist, dürfte in der Sache hinlänglich bekannt sein.« Parallelen gar zum Polit-Populismus sieht Holger Stetefeld: »Welche larmoyanz, afd like«.

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