Schnellstarter sind klar im Vorteil

Finanzminister informiert sich über die Integration von Flüchtlingen in den Arbeitsmarkt

  • Wilfried Neiße
  • Lesedauer: 4 Min.

Ist das der Durchbruch? Im laufenden Ausbildungsjahr haben 350 Menschen »mit Migrationshintergrund« in Brandenburg die Ausbildungsreife erworben, sind also imstande, eine Berufsausbildung zu beginnen. »Wir haben den Ehrgeiz, alle von ihnen auch in Ausbildung zu bringen«, sagte der Leiter der Regionaldirektion Berlin-Brandenburg der Bundesagentur für Arbeit, Bernd Becking, am Mittwoch in Potsdam.

Der Behördenleiter wies die Vermutung zurück, bei diesen Qualifizierten handle es sich ausschließlich um Kinder von Flüchtlingen, die schon lange in Deutschland leben. Auch in den vergangenen Jahren seien »unglaublich motivierte« Menschen in Brandenburg eingetroffen, die erstaunlich rasch Deutsch lernten und auf dem Wege zur beruflichen und gesellschaftlichen Integration seien, stellte er klar.

Bernd Becking begrüßte am Mittwoch Finanzminister Christian Görke (LINKE) in der Potsdamer Agentur, die neben dem Stadtgebiet auch für die Stadt Brandenburg/Havel sowie die Landkreise Potsdam-Mittelmark und Teltow-Fläming zuständig ist.

Görke macht sich Sorgen um die künftige Entwicklung Brandenburgs. Deren Achillesferse seien die fehlenden Fachkräfte, erklärte er. Bis 2020 würden allein von 47 000 Landesbediensteten fast 10 000 in den Ruhestand gehen. Vor diesem Hintergrund hätten Konkurrenzkampf und »Rosinenpickerei« um die Vielversprechendsten habe vor diesem Hintergrund längst begonnen. Es sei daher sinnvoll, jungen Flüchtlingen den Weg in die öffentliche Verwaltung zu eröffnen. In seinem Ministerium habe der erste von ihnen eine Ausbildung angetreten.

Im Arbeitsamtsbezirk Potsdam haben drei Flüchtlinge einen Ausbildungsplatz erhalten, drei weitere bereiten sich auf eine Lehre im Handwerk vor, ergänzte Ramona Schröder, Vorsitzende der Geschäftsführung der Potsdamer Arbeitsagentur. Damit sei ihre Agentur »die einzige im Land, die selbst junge Geflüchtete ausbildet«. Darauf sei sie natürlich stolz, »auch weil wir mit der Integration einen echten Beitrag für das Land Brandenburg leisten.«

Die Vorsitzende des DGB-Bezirks Berlin-Brandenburg, Doro Zinke, lobte die Anstrengungen der Landesregierung und der Agentur bei der beruflichen und sprachlichen Qualifizierung von Geflüchteten. Sie vermisse ein ähnliches Engagement im Bereich der privaten Wirtschaft.

Die Sprachschwierigkeiten sind nach Auskunft vieler Handwerksunternehmen das größte Problem bei der Ausbildung von Flüchtlingen. Dabei fehle es ihnen nicht an gutem Willen. Doch sie müssten meist erst in die Lage versetzt werden, mit ihren Kollegen oder Kunden kommunizieren zu können. Auch seien gute Sprachkenntnisse Voraussetzung dafür, die Ausbildung erfolgreich abschließen zu können.

Von den 171 800 Menschen, die derzeit im Land Brandenburg als arbeitsuchend gemeldet sind, haben rund 12 000 Menschen einen Flüchtlingshintergrund. 77 Prozent von ihnen sind Männer. Allerdings verfügt fast die Hälfte aller Flüchtlinge in Brandenburg (47,5 Prozent) über keinerlei Ausbildungsabschluss. Gut ein Fünftel hat das Abitur erworben. 8,9 Prozent werden laut Statistik als Hochschulabsolventen geführt.

Derzeit sind laut Direktionsleiter Becking rund 21 000 Arbeitsplätze in Brandenburg unbesetzt. Die Zahl freier Ausbildungsplätze bezifferte er auf 5800. Im Unterschied zu anderen Regionen sei die Zahl angebotener Ausbildungsplätze in Brandenburg gegenüber dem vergangenen Jahr um fünf Prozent gestiegen. Das berge die Gefahr, dass die unbesetzten Stellen weiter zunehmen.

Derweil verschwenden nach Einschätzung von Direktionsleiter Becking Tausende von jungen Leuten in Deutschland Lebenszeit auf Studienplätzen in Fächern, in denen sie ohnehin keinen Abschluss erwerben. Im Falle der ingenieurtechnischen Studienfächer - Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften, Technik (MINT) - liege die Abbruchsquote derzeit bei 50 Prozent. Im Schnitt der übrigen Studienfächer seien es rund 30 Prozent. Bei der dualen Berufsausbildung sehe es im Grunde nicht viel besser aus.

Diese unbefriedigende Situation, »die schlecht für Jugendliche und für die Betriebe ist«, führte Bernd Becking auf eine ungenügende Berufsorientierung in der Schule zurück. »Dort sind wir noch nicht, wo wir hin wollen«, sagte er. An der Schule müsse verhindert werden, dass junge Menschen Ausbildungswege einschlagen, die ihnen nicht gemäß sind. »Alles andere kostet enorm viel Geld.«

Aus Sicht von Finanzminister Görke sind auch aus diesem Grund die Anstrengungen zwingen, Flüchtlinge für eine Berufsausbildung zu befähigen. Rund 80 Prozent von ihnen könnten - zumindest auf absehbare Zeit - nicht einfach in ihre Heimatländer zurückgehen. Sie müssten also mit ihrer Zeit in Deutschland etwas anfangen können. Es sei auch eine Form der Entwicklungshilfe, diesen Menschen eine Ausbildung zukommen zu lassen, so Görke. Nicht zuletzt liege das auch im Interesse jedes Einzelnen, weil »Ausbildung vor Abschiebung schützt«.

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