Ein Störfall und seine Folgen

Wie die südjapanische Stadt Minamata unfreiwillig Namenspate einer Krankheit und Symbol industrieller Umweltverschmutzung wurde

  • Bernd Schröder
  • Lesedauer: 3 Min.

Die Unterzeichnung des Übereinkommens zur Quecksilber-Reduzierung fand nicht zufällig in der südjapanischen Stadt Minamata statt. Die war nämlich bereits Anfang der 1970er Jahre unfreiwillig Namensgeber einer Nervenkrankheit, ausgelöst durch langjährige chronische Vergiftung mit organischen Quecksilber-Verbindungen (insbesondere Methylquecksilber). Die Krankheit trat erstmals Mitte der 1950er Jahre in der Umgebung von Minamata auf, einer an der japanischen Yatsushiro-See gelegenen Stadt. Die Symptome wurde in der Folge auch an anderen, mit ähnlichen Belastungen kämpfenden Örtlichkeiten der Welt beobachtet.

Das dabei meist wirksame Methylquecksilber wird in der Natur durch Mikroorganismen aus Quecksilber gebildet. Dieser Biomethylierung kommt im biogeochemischen Quecksilber-Kreislauf der Erde eine besondere Bedeutung zu. Das fettlösliche Gift reichert sich auf seinem Weg durch die Nahrungskette an. Und so sind besonders Fische am Ende einer Nahrungskette wie etwa Thunfische mit Quecksilber (und anderen Schadstoffen) belastet. Deshalb sind Menschen in Gegenden, wo besonders viel Fisch verzehrt wird, vergleichsweise stark mit Quecksilber belastet.

Methylquecksilber gelangt vor allem über den Verdauungstrakt in den Körper. Da die Verbindung sowohl die Blut-Liquor- als auch die Blut-Plazenta-Schranke überwindet, erleiden Zellen des zentralen Nervensystems Schaden: Störungen der Proteinsynthese, der Sauerstoffverwertung, Zelltod. Symptome sind zunächst Müdigkeit, Kopf- und Gliederschmerzen, später treten Störungen der Bewegungskoordination, Gefühllosigkeit in den Gliedern, allgemeine Muskelschwäche, Lähmungen, Psychosen und die Beeinträchtigung von Sprache und Gehör auf. In schweren Fällen folgen Wahnsinn, Paralyse und Koma - und schließlich der Tod.

Der Chemiekonzern Chisso hatte ab 1932 Abwässer aus der Aldehydproduktion in die Minamata-Bucht geleitet - über Jahrzehnte hinweg. Die Abwässer stammten aus einem Prozess, in dem Quecksilber-Salze als Katalysatoren Verwendung fanden.

Nach Schätzungen wurde für jede produzierte Tonne Acetaldehyd ein Kilogramm Quecksilber ins Meer geleitet. 1959 ließen sich an der Mündung von Chissos Abwasserkanal in jeder Tonne Sediment zwei Kilogramm Quecksilber nachweisen. Ein derart vielversprechendes Vorkommen ließ man bei Chisso nicht ungenutzt: Eine Tochtergesellschaft wurde später mit der Hebung und dem Verkauf des Bodenschatzes beauftragt.

Das verspätete Recycling allerdings half allerdings nicht gegen die Folgen des jahrzehntelangen Quecksilbereintrags. Nach Anreicherung in Algen, Fischen und Meeresfrüchten erreichte das Gift schließlich die menschliche Nahrung. 1956 wurden die ersten Fälle einer Krankheit registriert, die sich bald zu einer Epidemie ausweitete. Ihr Auslöser blieb zunächst im Dunkeln. 1957 wurde eilig ein teilweises Verbot des Konsums von Meereserzeugnissen aus der Gegend erlassen. Dabei war die lokale Fischerei gerade selber zum Opfer der Einleitungen geworden: Verglichen mit den Fangergebnissen von vier Jahren zuvor waren die Fänge um über 90 Prozent zurückgegangen.

Schätzungsweise 100 000 Menschen lebten im Einzugsgebiet der Quecksilber-Vergiftung. Zwischen 1955 und 1959 kam hier fast jedes dritte Kind mit geistigen oder körperlichen Beeinträchtigungen zur Welt. Doch erst 1959 wurde eine Verbindung der Krankheitsfälle mit Quecksilber in Erwägung gezogen. Chisso behinderte die Untersuchungen durch Zurückhalten von Informationen und brachte stattdessen andere hypothetische Krankheitsursachen ins Gespräch. Erst 1968 benannte die japanische Regierung Chisso offiziell als Verursacher. Den Opfern stand dann noch einer weiter Weg in ihrem Kampf um die Anerkennung ihrer Entschädigungsansprüche bevor.

2001 waren 2265 Opfer offiziell als solche anerkannt, doch 1784 von ihnen waren da bereits verstorben. Heute geht man davon aus, dass cirka 17 000 Menschen durch die Quecksilber-Vergiftungen in der Minamata-Bucht zu Schaden kamen.

Vor 20 Jahren gab die Regionalregierung offiziell das Ende des Störfalls bekannt, in dem sie den Fisch aus der Minamata-Bucht für wieder essbar erklärte. Die wenigen Fischer, die noch da waren, hatten die Krise vor allem deshalb überlebt, weil ihnen Chisso ihren Fang über die Jahre als Teil einer Entschädigungsleistung abgenommen hatte - und als Sondermüll verbrannte.

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