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Hilfsangebot, Überforderung oder Betrug
Das Thema Depressionen wird auch online immer wichtiger – mit zwiespältigen Konsequenzen
Die medizinische Diagnose einer Depression hat schon etwa ein Viertel aller Menschen zwischen 18 und 69 Jahren in Deutschland einmal in ihrem Leben bekommen. Das besagt jedenfalls ein Ergebnis des aktuellen Deutschland-Barometers Depression, für das knapp 5200 repräsentativ ausgewählte Personen befragt wurden. Die psychische Erkrankung, die in verschiedenen Schweregraden auftreten kann und oft mehrmals wiederkehrt, hat in den letzten Jahren mehr Aufmerksamkeit bekommen. Wie verbreitet sie ist, zeigt auch, dass in der Umfrage 26 Prozent der Befragten von Angehörigen mit einer Depression berichteten und 27 Prozent von Bekannten mit einer solchen Diagnose.
In der Bevölkerung hält sich hartnäckig die Auffassung, dass Depressionen irgendetwas mit Lebensumständen oder gar einer Charakterschwäche zu tun haben. Wer eine Veranlagung für die Krankheit hat, so Ulrich Hegerl von der Stiftung Deutsche Depressionshilfe, bei dem können etwa Schicksalsschläge dazu beitragen, dass sie ausbricht. Insofern kann eine Psychotherapie dafür sorgen, dass die Wirkung auslösender Faktoren reduziert wird. Behandelbar ist die Krankheit eigentlich gut, auch, weil wirksame Antidepressiva zur Verfügung stehen.
Jedoch gibt es hier zwei Probleme: Zum einen dauert es lange, bis eine Depression diagnostiziert wird, und dann kann es noch einmal dauern, bis ein Behandlungsplatz frei wird. In diesen Lücken spielt zunehmend die Information aus dem Internet, darunter auch seitens sozialer Medien, eine Rolle. Schon jede zweite Person in Deutschland hat im Netz zu Depressionen recherchiert, unter den tatsächlich Erkrankten taten das sogar 78 Prozent, ergab die neunte Ausgabe des Barometers. Schon 17 Prozent der Betroffenen informierten sich über KI und soziale Medien.
Damit sind sowohl Chancen als auch Risiken verbunden: Sicher ist es positiv, dass schon jeder sechste Betroffene durch Social Media motiviert wurde, Hilfe zu suchen. Das Thema ist in der digitalen Welt sehr präsent, bestätigt auch Psychiater Hegerl, aber eben »auch das Risiko der massenhaften Verbreitung von falschen Vorstellungen zur Depression«. Laut der Barometer-Befragung fällt es zwei Dritteln der Betroffenen schwer, Wahrheitsgehalt und mögliche kommerzielle Interessen von digitalen Angeboten zu beurteilen.
Die vermeintlichen Hilfen schaden dann eher oder sind völlig überflüssig, wie bestimmte gute Ratschläge von Bekannten nach dem Motto »Nun reiß dich mal zusammen!« Versprechen für schnelle Heilung oder auch der Verkauf von Produkten sind Alarmsignale und deuten auf Unseriöses. Beiträge etwa von Krankenkassen oder psychiatrischen Fachgesellschaften verdienen eher Vertrauen, so die Stiftung.
Für die meisten erkrankten Nutzer von thematischen Beiträgen ergaben sich daraus keine Auswirkungen auf ihr Befinden. Aber 13 Prozent berichteten von positiven Effekten: Sie empfanden etwa den Austausch mit anderen als motivierend oder fühlten sich weniger einsam. 15 Prozent machten aber auch andere Erfahrungen: Sie empfanden die Berichte anderer als demotivierend oder fühlten sich durch die schiere Menge an Informationen überfordert.
Besonders kritisch wird es, wenn in Chats oder Kommentaren das Thema Suizid auftaucht. Zwar wurden von Betroffenen auch Hilfsangebote wahrgenommen, aber 15 Prozent der Erkrankten begegneten im virtuellen Raum konkreten Suizidankündigungen oder -versuchen. Gefährliche Effekte auf das eigene Handeln kann es geben, wenn über KI-gesteuerte Gesprächsangebote Bestätigung auch in solchen Fragen an die Nutzer zurückgespielt wird. Für Akteure wie die Stiftung ist also das Thema KI und soziale Medien durchaus zwiespältig.
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