Quadratschädelzicke
Jens Spahn ist der Kronprinz der CDU - zumindest sieht er das selbst wohl so. Von Velten Schäfer
Jaja, es kann schon nerven, wenn die Bedienung jenes superhippen Frühstückscafés im eigenen Haus eine zu deutsch vorgebrachte Bestellung bestirnrunzelt: Man möge sich, so scheinen ihre Augen mitzuteilen, doch tunlichst des Englischen bedienen, schließlich ist das hier funky Kreuzberg! Berechtigt ist solcher Ärger zumal vor dem Hintergrund, dass fast dieselben Straßenzüge bis heute als Ausweis des »Scheiterns von Multikulti« gelten, weil Teile der ansässigen Bevölkerung mit türkischem oder arabischem Hintergrund vermeintlich der Landessprache unzureichend mächtig sind. Es ist empörend, dass das Radebrechen amerikanischer oder französischer Wissenschaftlerinnen, die auch nach Jahren in Berlin keinen deutschsprachigen Brief verfassen könnten, auf Partys als charmant gilt - während der franko- oder anglofone afrikanische Fluchtmigrant von um die Ecke als bedrohlicher Fremder stigmatisiert und reflexhaft dem Drogenhandel im nahen Park zugeordnet wird.
Diese Bigotterie zwischen »internationalem Flair« und »Integrationsverweigerung« ist in der Tat höchst kritikwürdig, weil sich in ihr eine Matrix von Rassismus und Klassismus offenbart. Gerade so hat Jens Spahn seine dieser Tage in der Berliner Presse zum Besten gegebene Kritik an angelsächsischen Kellern, die kein Deutsch verstehen, freilich nicht gemeint. Ganz im Gegenteil: Der 1980 geborene CDU-Karrierist, der sich selbst als »burkaphob« bezeichnet, pflegt weit vorne im Rudel zu stehen, wenn »klare Worte« gefragt sind über den »Kontrollverlust« in der Flüchtlingspolitik. Oder über die »Leitkultur«, die »wir von uns, aber auch von Menschen, die zu uns kommen« erwarten: »Wem unsere Art zu leben nicht gefällt, der kann ja wieder gehen!« In solchem Kontext ist auch seine launische Bemerkung über die englischsprachigen Restaurantbedienungen nichts anderes als ein billiges Tor am Stammtisch.
Jens Spahn will, dass man sich mit ihm beschäftigt. Denn dass der 1980 im Münsterland geborene Bankkaufmann und Fernstudiumspolitologe seine derzeitige Stellung als Staatssekretär im Finanzministerium nur als Zwischenstation betrachtet, pfeifen nicht nur die Spatzen von den Dächern. Jüngst erst orakelte sein Dienstherr Wolfgang Schäuble, er gehöre zu einem erweiterten Führungszirkel der CDU. Und einen vor Jahresfrist im britischen »Guardian« erschienenen Text, der ihn als den »Mann, der Merkel als Kanzler ersetzen könnte« porträtierte, hat er sich womöglich ausgedruckt. Für die Memoiren vielleicht, irgendwann nach der Ära Spahn.
Unter denen, die mit solchen Gedanken spielen mögen, ist Spahn bisher der offensivste. Unabhängig von der politischen Sinnhaftigkeit des Vorstoßes erforderte es reichlich Chuzpe, als er sich im Dezember 2016 auf dem CDU-Parteitag gegen der Kanzlerin ungewöhnlich deutlich artikulierten Willen stellte und sich zum prominenten Fürsprecher eines Antrages des Parteinachwuchses aufschwang, die geltenden Regeln zur doppelten Staatsbürgerschaft zu revidieren. Zwei Jahre zuvor trat Spahn, zu diesem Zeitpunkt gerade 34 Jahre alt, für einen Sitz im Parteipräsidium in einer Kampfkandidatur gegen den amtierenden Gesundheitsminister Herrmann Gröhe an, auf dessen Amt er als Leiter der entsprechenden Arbeitsgruppe bei den Koalitionsverhandlungen anno 2013 schon spekuliert haben dürfte. Das war eigentlich eine Ungehörigkeit in der Union. Doch Spahn bewies, was er später einmal wörtlich seiner Partei empfahl, nämlich »Eier«. Und setzte sich durch, auch gegen den Willen seines eigenen Landesverbandes.
Seither sammelt Spahn nicht nur fleißig Talkshowminuten, sondern auch politische Themenfelder. Gestartet war er als »Gesundheitsexperte«, inzwischen ist er Staatssekretär im Finanzministerium. Doch auch zu Fragen der Außen- und Innenpolitik äußert er sich mit teils steilen Thesen. Eine Hausmacht hat er auch - zumindest in seinem Bundestagswahlkreis Steinfurt-Borken, den er schon viermal direkt gewann. Dass Spahn im mutmaßlich nächsten Merkel-Kabinett kein Ministeramt abbekommt, kann man sich kaum vorstellen. Es sei denn, seine jüngst geäußerte Vision einer schwarz-grün-gelben Koalition wird Realität: Im Fall von »Jamaika« müssten die Posten durch drei geteilt werden.
Seine gesundheits-, innen- wie finanzpolitischen Positionen machen Spahn heute zu einem Vertreter des konservativen Flügels der Union. Und das eine Thema, das dieses Profil beschädigen könnte, hat die von ihm ansonsten so offen kritisierte Kanzlerin erst kürzlich aus dem Weg geräumt. Die »Ehe für alle« hätte dem offen schwulen Politiker bei einer fortgesetzten Hängepartie einen Strich durch die rechte Rechnung machen können. Nun ist das Thema abgeräumt. Spahn stellte sich in dieser Frage dicht hinter die Kanzlerin und erklärte die Öffnung der Ehe zum konservativen Wert.
Ob dem tatsächlich schon so ist, wäre eine andere Frage. Es ist noch gar nicht so lange her, dass Journalisten über ihn sinngemäß zu berichten wussten, er gelte in der Partei als überehrgeizig, zickig, verkniffen - Negativattribute, die gerne Schwulen angeheftet werden. Doch längst ist der Hüne mit dem Quadratschädel gewichtig genug, derlei Ressentiments zum Schweigen zu bringen.
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