Das Sterben der Landgasthöfe

Bürokratie, Nachwuchssorgen und Fachkräftemangel sorgen für einen drastischen Schwund in der ländlichen Gastronomie Thüringens

  • Heidrun Böger
  • Lesedauer: 4 Min.

Ein Gasthof ist nicht nur ein Haus, in dem es Essen gibt, Getränke und manchmal ein Zimmer für die Nacht. Gerade in ländlichen Gemeinden spielt die lokale Gastronomie eine wichtige Rolle für die örtliche Gemeinschaft: Hier lassen sich Geburtstage feiern, Musikgruppen anhören und Hochzeiten begießen - oder auch anbahnen. Im Gasthof kristallisiert sich das Leben.

Insofern ist es mehr als eine Randnachricht aus der Wirtschaft, dass etwa in Thüringen die Zahl gerade der Landgasthöfe drastisch zurückgeht. Allein seit 2008 ist die Zahl der Gaststätten in Thüringen um 28,7 Prozent gesunken - vorwiegend betrifft das den ländlichen Raum. Das beobachtet auch Dirk Ellinger, der Thüringer Hauptgeschäftsführer des Gastronomieverbands Dehoga: »Man muss natürlich auch sagen, dass die Zeiten sich ändern, die Leute mobiler geworden sind und nicht mehr jedes Dorf seinen Gasthof hat.«

Doch es gibt auch Orte im Land, die von der Einwohnerzahl her groß genug wären und wo die Schließung des Gasthofes ein echter Verlust ist. Jobs gehen verloren und Wirtschaftskraft - und eben auch ein Stück Regionalität. Ein Kernproblem sind die geringen Betriebsgrößen. Mit einem durchschnittlichen Jahresumsatz von 195 000 Euro pro Gaststätte ist Thüringen bundesweit Schlusslicht. In Sachsen kommen die Betriebe auf im Schnitt 257 000 Euro Jahresumsatz. Bundesweit legt das Gastgewerbe zu. In Thüringen geht der Trend zwar auch in diese Richtung, aber geringer als auf Bundesebene.

Die Ursachen für das Gasthaussterben liegen nicht nur in der größeren Mobilität der Einwohner, die mit dem Auto möglicherweise ins Einkaufszentrum der nächsten Stadt fahren und dort dann vielleicht auch gleich essen. Es zeichnet sich ab, dass für eine Reihe von Betrieben mit niedrigem Ertrag und fehlenden Fachkräften keine Nachfolger gefunden werden können. Laut der Erfurter Industrie- und Handelskammer sind die Eigentümer von 43 Prozent der inhabergeführten Gasthäuser - und das sind die meisten Lokale - 55 Jahre und älter. Für so viele Betriebe gibt es nicht genügend Interessenten. Erschwert wird die Betriebsnachfolge, weil Käufer kaum Kredite erhielten.

Dort wiederum, wo es genügend Gäste gibt, zum Beispiel in den Thüringer Urlaubsgebieten, fehlt es oft an Fachkräften. Das beobachtet etwa Gudrun Münnich, die seit 1985 den Landgasthof Krone in Eischleben betreibt: »Die Kinder, die nach der Wende und dem damit verbundenen Geburtenknick nicht geboren wurden, fehlen uns jetzt.« Inzwischen werden zwar wieder mehr Babys geboren, die später vielleicht auch im Hotel- und Gaststättengewerbe arbeiten könnten. Für manchen Betrieb sei es dann aber zu spät, fürchtet Münnich.

Das sieht die Wirtin im eigenen Betrieb. Ihr Gasthof hat 70 Plätze im Restaurant und 70 weitere im Biergarten. Dazu kommen 19 Hotelbetten. Das alles muss sie mit drei Mitarbeitern und zwei Auszubildenden stemmen. Weil es an Personal fehlt und zur Mittagszeit auch an Umsatz, öffnet Gudrun Münnich ihre »Krone« seit einiger Zeit erst nachmittags.

Zudem klagt die Wirtin über Bürokratie und meint damit beispielsweise das Ausweisen von Allergenen auf der Karte: »Wenn das Gericht auf der Speisekarte ohne Sahne steht, darf mein Koch auch nicht spontan Sahne dazugeben.« Dabei würden Gäste mit Allergien bei der Bestellung ohnehin darauf hinweisen. Gudrun Münnich ist der Meinung, dass sich solche Dinge auch »unkompliziert im Gespräch klären« ließen. Früher gab es im Gasthof zudem Sommerfeste. Jetzt muss dafür Security gestellt werden, eine der vielen Vorschriften, die die Kosten in die Höhe treiben. Sommerfeste finden daher in der »Krone« nicht mehr statt.

Dirk Ellinger von der Dehoga Thüringen, bricht eine Lanze für den inhabergeführten Landgasthof: »Das ist immer noch eine gute Möglichkeit, sich selbst zu verwirklichen.« Gleichzeitig sieht auch er in der Bürokratie eines der Hauptprobleme: »Zum Beispiel könnte man die Lohnabrechnung wieder am zehnten Tag des Folgemonats machen, wie es bis 2007 üblich war. Die jetzige Regelung mit der Abrechnung und Zahlung am drittletzten Werktag des laufenden Monats verursacht zusätzliche Arbeit und Kosten, weil die Abrechnung oft zweimal gemacht werden muss, wenn sich beim Arbeitnehmer zum Beispiel durch Krankheit etwas geändert hat.« Man fordere von der Politik keine Bevorzugung, aber zumindest Chancengleichheit, sagt der Gastrolobbyist. Vereine könnten Feste organisieren, ohne dass der Mann am Bratwurstrost zuvor eine Hygienedokumentation erstellen müsse.

Ellingers Branchenüberblick zufolge sitzen Gasthofbetreiber pro Woche 10 bis 15 Stunden für Aufzeichnungen und Dokumentationen am Schreibtisch. Für ihn ist das Zeit, die nicht immer sinnvoll genutzt sei. Ellinger wünscht sich mehr Wertschätzung für die Branche und Unterstützung durch die Politik, Stichwort Marketingkampagnen: »Schon 2010 wollten wir in Thüringen jährlich zehn Millionen Übernachtungen haben.« Doch stattdessen konnte man im letzten Jahr lediglich 9,7 Millionen Schlafgäste verzeichnen.

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