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Hunger ist kein Naturgesetz
Supermarktketten profitieren von steigenden Preisen und Monopolstellung am Markt
Ein Riss – und die Müslitüte ist offen. Aber was soll das, die Packung ist noch nicht einmal zur Hälfte gefüllt? Die sogenannte »Shrinkflation« ist ein Versuch, Preise möglichst von Konsument*innen unbemerkt zu steigern. Erst im September zogen Verbraucherschützer gegen Mondelez, den Hersteller von Milka-Schokolade vor Gericht, weil dieser inzwischen ohne deutlich sichtbaren Hinweis schmalere Tafeln verkauft. Bei der »Skimpflation« wiederum sinkt die Qualität der Zutaten. So werden beispielsweise teure Haselnüsse im Müsli durch Aromen ersetzt.
Derlei Tricks hat die deutsche Lebensmittelindustrie aber gar nicht nötig. Seit 2020 stiegen die Lebensmittelpreise bis Juni 2025 um 36 Prozent, bei Produkten wie Käse oder Teigwaren sogar um rund 50 Prozent – weitaus über der Inflationsrate. Der Trend scheint sich fortzusetzen. Diesen September kostete Obst im Schnitt 5,1 Prozent mehr als im Vorjahresmonat, Molkereiprodukte und Eier 3,6 Prozent. Die Inflation lag bei 2,4 Prozent.
Bei Eigenmarken von Supermärkten waren die Preissteigerungen bis Sommer 2025 fast doppelt so hoch wie bei jenen von Markenprodukten. Das trifft jene, die auf günstige Lebensmittel angewiesen sind, besonders hart. Insbesondere, da die Lohnentwicklung nicht mithält. Die hohe Inflation der Jahre 2021/22 ließ die Reallöhne und verfügbaren Einkommen erstmals seit 2013 wieder sinken, wie das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung berichtet. Laut der Deutschen Gesellschaft für Ernährung e. V. sind derzeit etwa drei Millionen Menschen von Ernährungsarmut betroffen. Das bedeutet, sie können sich kein gesundes Essen leisten.
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Warum gerade die Preise bei Eigenmarken so stark steigen, lässt sich schwer feststellen. Supermärkte und Lebensmittelkonzerne müssen keine Auskunft über ihre Margen und Preissetzung geben. Auch Gewinne der Supermarktketten sind nicht eindeutig zu ermitteln, da diese nicht börsennotiert sind und somit nicht unter die Berichterstattungspflicht fallen.
Ein Grund könnte sein, dass die Preise der Eigenmarken knapper kalkuliert sind. Darum können sich Preisschwankungen stärker auswirken. Zugleich haben die Supermärkte mehr Entscheidunsfreiheit bei eigenen Preisen. Die Intransparenz in der Lebensmittelwertschöpfungskette »gibt Anlass zur Vermutung, dass einige Unternehmen ihre Umsätze auf Kosten der Verbraucher:innen steigern«, schreibt die Verbraucherzentrale Bund.
Auch die Entwicklungsorganisation Oxfam Deutschland erklärt auf »nd«-Anfrage: »Inzwischen verdichten sich die Anzeichen, dass der Preisanstieg nicht allein durch höhere Kosten in der Produktion und im Einkauf der Unternehmen zu erklären ist, sondern zu einem signifikanten Anteil auch auf Mitnahmeeffekten beruht«. Das bedeutet, Unternehmen haben ihre Preise während der Inflation stärker angehoben, als es kostenbedingt notwendig gewesen wäre.
Laut einem Gutachten der Monopolkommission von 2024 verschieben sich die Gewinnmargen zudem zunehmend von der Landwirtschaft hin zum Handel. Preiserhöhungen kämen bei Bäuer*innen nicht oder verspätet an. Oxfam werde berichtet, dass »es zwischen Landwirtschaft und Handel keine wirklichen Preisverhandlungen mehr gibt, sondern Landwirt*innen die vorgesetzten Preise akzeptieren müssen – andernfalls kommen sie nicht zum Zuge«. Das setzt nicht nur Landwirt*innen hierzulande unter Druck, sondern auch anderenorts.
Trotz wachsender Weltwirtschaft fehlt Menschen auf der ganzen Welt immer mehr Geld für eine gesunde Ernährung. 2025 befindet sich die Ernährungsarmut global auf dem höchstem Stand seit 2017. Zu diesem Ergebnis kommt die Studie »Armutslücke Welternährung« des Hilfswerks Misereor und von Wissenschaftlern der Georg-August-Universität Göttingen. Der Index der Welthungerhilfe 2025 zeigt: Auch bei der Überwindung des Welthungers gibt es wenig Fortschritt. Seit 2016 hat sich die globale Ernährungslage kaum verbessert. 56 Länder werden es beim jetzigen Tempo nicht schaffen, den Hunger bis 2030 zu überwinden. In 27 Ländern hat sich die Ernährungslage sogar verschlechtert. Anhaltende Kriege und bewaffnete Konflikte, die Folgen des Klimawandels sowie fehlender politischer Handlungswille seien demnach die wichtigsten Ursachen für den weltweiten Hunger. Große Lebensmittelunternehmen konnten ihren Profit indes steigern. Der Welternährungstag findet jedes Jahr am 16. Oktober statt.
Ein weiterer Grund für die steigenden Preise könnte in der Monopolstellung großer Supermarktketten liegen. In Deutschland beherrschen Edeka, Rewe, Aldi und die Schwarz-Gruppe, zu der Lidl und Kaufland gehören, je nach Statistik inzwischen drei Viertel bis zu fast 90 Prozent des Marktes. 2023 erwirtschaftete der Lebensmittelhandel einen Nettoumsatz von 204,5 Milliarden Euro. Im Jahr zuvor waren es 195 Milliarden, wie das »Manager-Magazin« schreibt. Vor allem Lebensmitteldiscounter konnten zuletzt Zuwächse verzeichnen.
Laut dem Wirtschaftsmagazin »Forbes« schafften es im Oktober gleich zwei Supermarkt-Mogule unter die zehn reichsten Deutschen des Jahres 2025. Auf Platz 7 der Liste rangieren die Familien Albrecht und Heister von Aldi. Platz 1 besetzt Dieter Schwarz von der Schwarz-Gruppe. Der Unternehmer besitzt laut »Forbes« Vermögenswerte in Höhe von 36,9 Milliarden Dollar. Im internationalen Vergleich liegt Schwarz auf Platz 45 der reichsten Menschen der Welt.
Demgegenüber stieg der Bedarf bei den deutschen Tafeln, die Menschen mit Berechtigungsschein mit Lebensmitteln versorgen, in den vergangenen fünf Jahren um durchschnittlich 50 Prozent. Laut einer Studie des Vereins Sanktionsfrei, der sich für eine menschenwürdige Mindestsicherung einsetzt, verzichten zudem die Hälfte der Eltern im Bürgergeldbezug auf Essen, damit ihre Kinder satt werden.
Eine Lösung, um Preise transparenter zu gestalten, wäre eine Preis- und Margenbeobachtungsstelle, »die eine laufende Überprüfung der Gewinnmargen leisten und auf Ungleichgewichte in der Lebensmittellieferkette hinweisen könnte«, fordert Oxfam. Diese gibt es bereits in Frankreich und Spanien. »Und das Kartellamt muss Maßnahmen gegen die Marktkonzentration ergreifen, bis hin zu einer Entflechtung der Supermarktketten.« Auf europäischer Ebene treffen sich seit Sommer 2024 Mitglieder der EU-Beobachtungsstelle für die Agrar- und Lebensmittelkette. Sie sollen Preise, Kosten, Verteilung von Gewinnspannen und Mehrwert in den Lieferketten analysieren.
Indes bildet die Organisation Foodwatch seit Mai 2024 mit einem Preisradar die Kostenentwicklung bei Aldi, Rewe und Edeka ab. Dafür scannt die Organisation täglich deren Onlineshops. Die Schwarz-Gruppe ist nicht dabei, »da das Unternehmen keine umfassenden Preisdaten online verfügbar hat«, begründet Foodwatch. Kaufland erklärt dazu auf »nd«-Nachfrage: »Die Preise aller Aktionsangebote finden unsere Kunden sowohl im Prospekt als auch in der Kaufland-App und online. Alle Preise sind zudem immer zusätzlich mit dem entsprechenden Grundpreis transparent am Regaletikett gekennzeichnet«.
Lidl erklärt »wann immer es unser Geschäftsmodell ermöglicht hat« Preissenkungen vorgenommen zu haben. »So beispielsweise in den vergangenen Wochen mit unseren umfangreichen Reduzierungen der Preise für Butter, Käse und Pasta.« Kostensteigerungen innerhalb der Lieferkette oder Steigerungen der Rohstoffpreise versuche der Konzern »durch Effizienzsteigerungen so weit wie möglich abzufedern und nicht vollständig an die Kunden weiterzugeben.« Darüber hinaus machen die Schwarz-Unternehmen zu ihrer Preisgestaltung »grundsätzlich keine Angaben«.
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