Lenin kehrt nicht zurück

Potsdamer CDU will die vor Jahren weggeschaffte Skulptur von der Denkmalliste streichen

  • Wilfried Neiße
  • Lesedauer: 4 Min.

Der »gestorbene, aber nicht zu vergessene Genosse Lenin«, so hat ihn der Dramatiker Bert Brecht genannt. Der Kulturausschuss der Potsdamer Stadtverordnetenversammlung soll sich voraussichtlich im Oktober mit Lenin befassen. Ausgerechnet die CDU-Fraktion entriss den russischen Revolutionär dem Vergessen, indem sie allerdings den Antrag stellte, »dass die Potsdamer Leninstatue aus der Denkmalliste des Landes gelöscht wird«. In ihrem Antrag beruft sich die Fraktion darauf, dass »die Leninstatue nicht mehr an ihrem alten Platz zurückkehren muss, da das Gesamtdenkmal ›Russisches Offizierskasino‹ nicht mehr besteht«.

Die Kulturausschussvorsitzende Karin Schröter (LINKE) lehnt dieses Ansinnen ab. Unabhängig davon, dass jeder die historische Figur Lenin betrachten könne, wie er wolle: Lenin habe nicht nur die Weltgeschichte maßgeblich geprägt. Die sowjetische Armee habe auch tiefe Spuren in der Potsdamer Stadtgeschichte hinterlassen. Die Gegenwart der Russen gehörte 45 Jahre lang zur Erlebniswelt der Einwohner Potsdams. Daher wäre es sinnvoll, die Statue als Denkmal zu bewahren, findet Schröter.

Voraussetzung dafür wäre natürlich, dass sich Lenin überhaupt erst einmal wieder in Potsdam befindet. Auch noch nach 1989 hatte die Bronzeskulptur fast anderthalb Jahrzehnte - etwas zurückgesetzt - im Zentrum an der Hegelallee, Ecke Schopenhauerstraße gestanden. Die russischen Offiziere hatten zum Schluss noch eilig versucht, ihn abzumontieren und beim Truppenabzug mit in die Heimat zu nehmen. Doch dem setzte der Potsdamer Lenin ganz entschieden passiven Widerstand entgegen. Die Offiziere gaben schließlich auf. Sie hatten sich um wichtigeres Gepäck zu kümmern und vermuteten damals wohl völlig zu Recht, zu Hause gebe es noch genug Lenindenkmäler.

Gleich einem standhaften Zinnsoldaten erinnerte Wladimir zunächst weiter an den roten Oktober 1917, geriet aber zunehmend in Vergessenheit. Doch 2004 hatte ein westdeutscher Investor das Ensemble »Haus der Offiziere« mitsamt der Skulptur gekauft und unter dem Vorwand der Reinigung und Instandsetzung die Bronzefigur nach Oldenburg verbracht. Auf Nachfrage hatte die Stadtverwaltung erklärt, 2006 solle Lenin wieder in Potsdam sein. Tatsächlich ist er jedoch niemals zurückgekehrt. Der Antrag der CDU-Fraktion lässt sich also als Versuch deuten, sich mit dem Abtransport eines Potsdamer Denkmals abzufinden, das Verschwinden nachträglich zu legalisieren.

Sieht man vom Soldatenfriedhof am Bassinplatz ab, erinnert in Potsdam einzig noch die Gedenkstätte in der Leistikowstraße an die einstige Anwesenheit der sowjetischen Besatzungstruppen. Diese Gedenkstätte dient dem Ziel, Besuchern vor Augen zu führen, wie ungerecht die Russen mit Deutschen umgegangen waren.

Die Stadtverordnete Schröter hielte es für richtig, in Potsdam auch einen Platz zu finden, an dem dargestellt wird, wie verbrecherisch zuvor in den Monaten und Jahren des Zweiten Weltkrieg deutsche Faschisten in der Sowjetunion mit den dort lebenden Menschen umgegangen waren. Es gelte daran zu erinnern, unter welchen Umständen die Russen 1945 überhaupt nach Potsdam gelangt waren. Wenn künftig das Potsdam-Museum seine Ausstellung neu gestaltet, dann sei außerdem zu wünschen, dass auch der Teil stärker zur Geltung kommt, der sich mit den DDR-Jahren Potsdams befasst.

Mehrfach beschäftigte sich die Stadtpolitik bereits mit dem Lenindenkmal. Die Verwaltung kann noch immer keine genauen Angaben zu seinem Verbleib machen. Schon 2013 hatte die Mehrheit der Stadtverordneten beschlossen, beim Landesdenkmalamt die Streichung der Statue aus der Landesdenkmalliste vorzunehmen zu lassen - zumal sie nicht an ihren ursprünglichen Standort zurückkehren kann.

Das Landesdenkmalamt machte indessen klar, dass bei der Frage nach Denkmalen nicht persönliche oder politische Vorlieben im Vordergrund stehen können. Das Amt lehnte die Entfernung von der Liste ab. Das Kulturministerium stellte fest: »Aus Sicht der Landesregierung ist das Denkmal nicht aus der Denkmalliste zu streichen, da es die gesetzlichen Denkmaleigenschaften erfüllt.« Das öffentliche Interesse an der Erhaltung des Denkmals bestehe wegen seines künstlerischen Werts und seiner Bedeutung für die Geschichtswissenschaft. Die Figur sei ein Zeugnis der Gedenkkultur in der DDR. Das gelte auch, nachdem das »Haus der Offiziere« beseitigt worden sei.

Im Frühjahr beantragte die linksalternative Stadtfraktion »Die Andere«, die Rückführung und auf Aufstellung der Skulptur, beispielsweise in einem geeigneten musealen Umfeld. Der Antrag wurde abgelehnt.

Für die CDU ist Lenin Träger von Terror und Unrecht. Er habe »eine Blutspur durch die Weltgeschichte« gezogen, heißt es. Lenin hatte aber definitiv nach der Oktoberrevolution so schnell wie möglich Frieden mit Deutschland geschlossen und seine Heimat so aus dem Ersten Weltkrieg herausgenommen. Er hatte Russland auf diese Weise wie versprochen den Frieden geschenkt. Der leider nachfolgende blutige Bürgerkrieg wurde Lenin aufgezwungen. Er hieß in Wirklichkeit Wladimir Iljitsch Uljanow. Lenin wählte er als seinen Kampfnamen.

Eine der ersten Maßnahmen der Stadtpolitik nach 1989 war es, die Potsdamer Leninallee in Zeppelinallee rückzubenennen. Hätte es sich um irgendeinen russischen Zar gehandelt, wäre es nicht dazu gekommen.

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