Kein Urlaub für Geflüchtete in ihrer Heimat

Robert D. Meyer über eine Kleine Anfrage der AfD in Baden-Württemberg, die von vielen Medien unkritisch weiterverbreitet wurde

  • Lesedauer: 3 Min.

Die AfD hat ein Talent dafür, der Öffentlichkeit Debatten aufzudrücken, die es gar nicht wert sind, geführt zu werden, weil die gesamte Faktenlage dagegenspricht. Nun kommen der Rechtsaußenpartei aber drei Umstände zugute: Erstens wird die Arbeit in Redaktionen immer hektischer, was zweitens zu einem Stille-Post-Effekt bei der unkritischen Weiterverbreitung von Meldungen führt, und drittens garantieren Geschichten, in denen das Stichwort AfD vorkommt, einen ordentlichen Aufreger.

Aufgrund dieser medialen Mechanismen geistert seit Wochen die verzerrte Darstellung einer Kleinen Anfrage der Stuttgarter AfD-Fraktion mit dem Titel »Heimaturlaube anerkannter Asylbewerber« durch On- wie Offlinemedien. Kurz gesagt wollten die Rechtsaußenvertreter unter anderem wissen, wie die baden-württembergische Landesregierung mit anerkannten Geflüchteten umgeht, die zwischenzeitlich ihre Heimat besucht haben. In einer Antwort des Innenministeriums hieß es, dass seit 2014 ganze 153 registrierte Fälle bekannt sind, in denen Geflüchtete kurzfristig in ihre Heimatländer zurückkehrten. Gründe dafür wurden vom Ministerium nicht benannt, weil dazu keine Statistiken erhoben werden. Trotz dieser dünnen Faktenlage ließ es sich Ministerialdirektor Julian Würtenberger aber nicht nehmen, zu spekulieren: »Wenn anerkannte Schutzberechtigte trotz einer Verfolgung oder Bedrohung zu Urlaubszwecken wieder in ihr Heimatland reisen, stellt sich zu Recht die Frage nach der Schutzbedürftigkeit dieser Ausländer.«

Über die Regionalmedien »Mannheimer Morgen« und »Heilbronner Stimme« fand die Kleine Anfrage Eingang in die Berichterstattung. Als sich schließlich Baden-Württembergs Justizminister Guido Wolf (CDU) über politisch Verfolgte empörte, die »Erholungsurlaub« in der Heimat machen würden, sprang die Nachrichtenagentur dpa auf die anrollende Empörungswelle auf und vermeldete: »Asylbewerber fahren für kurze Zeit zum Urlaub in ihre Heimat. Das ist eine heikle Situation.« Aus einer reinen Spekulation wurde ein Fakt, der zwar inhaltlich nicht gedeckt ist, aber seitdem bundesweit Schlagzeilen fabriziert. Obwohl mittlerweile unter anderem neben Stefan Niggemeier auf uebermedien.de und Stephan Mündges für heute.de den praktisch nicht vorhandenen Kern der Meldung längst offengelegt haben, entlockte die »Welt am Sonntag« Kanzlerin Merkel die Aussage, dass solche Urlaube nicht in Ordnung seien und diese Anlass wären, »die Asylentscheidung noch einmal zu überprüfen«. Damit äußerte sich nun sogar die Regierungschefin zu einer Frage, bei der niemand weiß, ob der zugrunde gelegte Sachverhalt überhaupt so existiert. Schließlich führte die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Aydan Özoguz (SPD), gegenüber der Funke-Mediengruppe aus, dass es viele »gewichtige Gründe« geben kann, warum Geflüchtete kurzfristig in ihre Heimat fliegen, etwa im Todesfall eines Verwandten.

»Welt am Sonntag« konstruierte aus dem Gesagten übrigens den Vorwurf im Merkel-Interview, Özoguz würde den Urlaub in den Herkunftsländern verteidigen. Das hat die Integrationsbeauftragte aber nie getan.

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