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Pflege auf der Bühne

Um das Bild von Menschen in Pflegeberufen zu verändern, tragen diese ihre Erfahrungen beim CareSlam vor

  • Tim Zülch
  • Lesedauer: 3 Min.

»Es war Liebe zum Menschen, die mich zum Beruf Krankenpflegerin brachte, und es war die gleiche Liebe, die der Grund war, dass ich ausgestiegen bin.« So beschreibt Katharina Schur, 33 Jahre, den Kern ihres Beitrags am kommenden Sonnabend in der Feuerwache in Friedrichshain.

Zum achten Mal findet der CareSlam statt, den Yvonne Falckner organisiert. Sie ist Krankenschwester und arbeitet halbtags für die Beratungsstelle »Pflege in Not« der Diakonie. CareSlam organisiert sie als freie Dozentin, ihr zweites Standbein. »Es wird oft gesagt, Menschen in Pflegeberufen sind so oder so. Ich möchte, dass die Menschen in Pflegeberufen sichtbar werden, dass sie selber das Bild von sich in der Öffentlichkeit mitbestimmen.«

»Es gibt Personen, die schon einen Text geschrieben haben, vom CareSlam gehört haben und sich daraufhin bei mir melden. Dann treffen wir uns und gehen den Text durch«, sagt Falckner. Einige der Teilnehmer spricht sie selbst an - sei es auf Konferenzen, in Internetforen oder im beruflichen Alltag.

So auch die Krankenpflegerin Schur. Schur hat ein schmales Gesicht und ein grünes Tuch um die Schultern gelegt, sie macht einen zurückhaltenden Eindruck. »Ich bin eigentlich ein ängstlicher Mensch, hätte mir das alleine nicht zugetraut«, sagt sie, »doch ich musste das machen, es war wie eine innere Stimme«.

Nach der Ausbildung arbeitete Schur mit Aids-Kranken auf der Infektiologie. Das hielt sie zwei Jahre durch. »Wir waren zu zweit. Wir rannten durch den Dienst und schafften unser Pensum trotzdem nur knapp.« Bald war sie überlastet, quittierte den Job. »Ich wurde unzufrieden, weil ich die Arbeit aufgrund des Zeitmangels nicht machen konnte, wie ich wollte. Patienten sagten, sie wünschen sich ein kurzes Gespräch, aber ich hatte keine Zeit.«

In der Pflege werde oft mit einer Art Checkliste gearbeitet, erläutert Falckner. Diese Liste sehe keine Kommunikation vor. Die einzelnen Aufgaben seien von der Pflegekraft abzuhaken: Thrombosestrümpfe anziehen, Essen reichen. »Wir brauchen aber Zeit für die Kontaktaufnahme, um zu erklären, was wir machen.« Diese Zeit ist nicht vorgesehen, und das kostet Kraft - bei Pflegekräften und Patienten. Katharina Schur wechselt in die Psychiatrie, hält es aber auch dort nur kurz aus. Momentan lebt sie von Gelegenheitsjobs, reist gerne und macht Kunst.

Kein Einzelfall: Die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di fasste 2014 verschiedene Studien zur Verweildauer von Pflegekräften im Beruf zusammen: Sie betrug zwischen fünf und zwölf Jahren. Nur 20 Prozent der befragten Pflegekräfte können sich nach einer DGB-Umfrage vorstellen, den Beruf bis zur Rente auszuüben.

Marcus Jogerst-Ratzka war im Mai beim CareSlam auf der Bühne. Er betreibt in Renchen ein Seniorenhaus und versucht dort, vieles anders zu machen. Die Patienten leben in Wohngemeinschaften und können an der Essenszubereitung teilnehmen. Jogerst-Ratzka sieht einen »Problemkreislauf« in der Pflege, der sich nicht durch Einzelmaßnahmen ändern lasse. Die Finanzierung bewege sich in einer »Abwärtsspirale«, während »jedes Jahr steigende Anforderungen gestellt und die Qualitätsvorgaben nach oben korrigiert« werden.

»Viel muss sich ändern«, sagt auch Falckner. Vor allem müsse der Optimierungswahn ein Ende haben und die Finanzierung sich verbessern, außerdem müssten Ärzte und Pflegekräfte sich zusammentun, denn »wir sind nicht die Helfer der Ärzte, sondern mit ihnen auf Augenhöhe«. Viele Menschen beschäftigten sich zudem ungern oder zu spät mit dem Thema Pflege - es ist ihnen unangenehm. »Aber das Leben ist nicht so, wie in der Zeitschrift Gala. Wir wissen zum Beispiel, dass der Hintern Pickel hat«, sagt sie und lacht.

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