Preisgekrönte Schnapsideen

Das beschauliche Tiroler Dörfchen macht mit dem jährlichen Fest »Stanz brennt« seiner Auszeichnung als erstes Brennereidorf Österreichs alle Ehre. Von Hanne Walter

  • Hanne Walter
  • Lesedauer: 4 Min.

Auf dem »Grüß-Gott-Weg« wimmelt’s regelrecht. So viele Leute passieren ihn, dass die übliche Begrüßungsformel kaum zu Ende gesprochen ist, wenn schon der Nächste überholt wird oder entgegenkommt und bei der Gelegenheit natürlich auch gegrüßt werden muss. Ganze Dörfer und ihre Gäste sind auf den Beinen, um zu sehen, wie die Stanzer ihren Ort geschmückt haben, und zu kosten, was sie Köstliches aus ihrer letzten Obsternte gebrannt haben.

Sechshundert Seelen zählt das Westtiroler Dorf auf dem Hochplateau, das von einem der höchstgelegenen Obstanbaugebiete Europas umgeben ist. 53 der etwa 150 Haushalte verwandeln alles, was um sie herumwächst, zu edlen Bränden. Bis auf einen alle im Nebenerwerb. Im täglichen Leben arbeiten sie in Busunternehmen, der Chemiefabrik, in der Landwirtschaft, Gastronomie oder Gemeinde. Dennoch bleibt Raum, auch übergreifende Ideen sprießen zu lassen. Wie zum Beispiel die, dass man endlich mal eine zum Dorf passende Skulptur braucht, die jedem überdimensional verkündet: Hier ist die Zwetschke zu Hause und hier sind die Könner, die Köstliches daraus zu brennen verstehen.

Diese selbstbewusste Behauptung lässt sich in den zahlreichen Probierstuben des Dorfes überprüfen. Am intensivsten immer am ersten Sonntag im September, wenn es wieder heißt »Stanz brennt«. Zu diesem Volksfest öffnen viele der 53 Schnapsbrennereien ihre Tore, und jeder kann das sonnengereifte Obst nicht nur als Klaren, sondern auch als Zwetschkenkuchen, Knödel oder Marmelade probieren.

27 Brenner des Dorfes sind nach der alljährlichen Landesverkostung schon als Landessieger nach Hause gekommen. Einer von ihnen ist Josef Schimpfössl, der im Haupterwerb bei Donauchemie arbeitet. Seit 1981 brennt er gemeinsam mit seiner Frau, die im Gemeindeamt beschäftigt ist. Wie alle im Ort verarbeiten sie nur eigenes Obst. Aber das reicht auch. Die 800 Zwetschkenbäume tragen zum Sommerende meistens reichlich, die eher säuerlichen Wildpflaumen, Spänling oder Spilling genannt, halten durchaus mit. Ende September beginnt die Birnenernte, und wenn zwischendurch die Vogelbeeren und danach auch noch die Äpfel verarbeitet sind, ist es schon fast Weihnachten. Obstbäume auf einem halben Hektar machen richtig Arbeit, am meisten die Vogelbeeren, deren winzige Kerne leichtes Mandel-Marzipan-Aroma liefern.

Die Preise führt Josef Schimpfössl nicht allein auf Können und Hingabe zurück, sondern insbesondere auf die besondere Qualität des Obstes: »Das Anbaugebiet macht den Unterschied! Unsere hohe Lage lässt eine intensive Sonneneinstrahlung zu, was die Früchte mit höherem Zuckergehalt danken. Allerdings wird eine gute Qualität der Obstbrände viel zu wenig geschätzt«, sagt Schimpfössel etwas wehmütig. »Tolles Essen aus erstklassigen Zutaten wird für viele immer wichtiger. Aber leider gönnen sich dieselben Leute selten was Gutes zum Verdauen. Und Gutes ist auf fast allen unseren Höfen zu finden. Denn wir setzen weder Zucker zu, der den unverfälschten Geschmack nur überdecken würde, noch aromatisieren wir.«

Sein Kollege Markus Auer hat dagegen noch ein weiteres Erfolgsrezept. »Wenn man es im Leben zu was bringen will, braucht man einen Vogel«, sagt er und erklärt so, warum er nach seiner Arbeit in einem Busunternehmen auch noch Obst in aromatische Flüssigkeit verwandelt. »Unsere Herausforderung ist die Qualität, nicht die Menge«. Und dafür reicht ihm seine, wie er sagt, simple, aber bewährte Anlage, mit der er nun schon in vierter Generation arbeitet. »Wozu brauche ich eine hochmoderne Anlage mit hundert Anzeigen? Uns wachsen die schönsten und besten Früchte vor der Haustür. Mehr brauchen wir nicht.« Außerdem schwört er auf Doppelbrand und brennt jeden Rohbrand ein zweites Mal.

So entstehen jedes Jahr um die fünfhundert Flaschen fünfzehn verschiedener Produkte Hochprozentiger. Der entfaltet am besten im Original Stanzer Edelbrandglas sein wahres Aroma und seinen edlen Charakter, sind die Einheimischen überzeugt. Es ist einem Grappaglas ähnlich und wurde von den Brennern gemeinsam mit einem Hersteller entwickelt. Denn das Verhältnis vom Bauch zum Kamin ist entscheidend, damit der Duft aufsteigen kann.

Aber davon abgesehen braucht man vor allem drei Dinge, um zu genießen, findet Markus Auer: eine interessierte Nase, einen neugierigen Gaumen und Zeit.

So hält es auch Stefan Nothdurfter, der in seinem Haus aus dem 17. Jahrhundert unter dem Namen »Giggus« die älteste Brennerei des Dorfes betreibt. Dort stehen sogar zwei Kessel, denn: »Brennen muss schnell gehen, da das Aroma nicht hitzebeständig ist.« Ehrensache, dass auch der Obstbaumeister nur eigenes Obst verarbeitet. Tausend Liter kann er ihm jährlich abgewinnen. Seine Paradefrucht ist die Wildpflaume Spänling, die er vor zwanzig Jahren auf 3,5 Hektar angebaut hat. Was er daraus gewinnt, ist »Giggus«, wie ein altes Dialektwort scharfes Wasser bezeichnet. Im 16. Jahrhundert hieß es, dass »besonders zuckerreiche Zwetschken bei den wilden Bergvölkern des oberen Inntales« wachsen. Zumindest wenn »Stanz brennt« und alles ausgelassen feiert, ist noch ziemlich viel dieser Wildheit zu erkennen.

Der Vollständigkeit sei angemerkt, dass keineswegs nur die Genießer hochprozentiger Tropfen in Stanz glücklich werden: In jedem Hofladen gibt es auch Ketchup, Marmelade, Essig, Chutney, Saft, Sirup und vieles mehr aus Pflaumen, denn die Stanzer sind ausgesprochen erfinderisch und brennen nun mal für ihr sonnenverwöhntes Obst.

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