Weg vom »Klein-Klein«

Merkel und Gabriel streiten um Rüstungsexport in die Türkei - die Konzerne handeln

  • René Heilig
  • Lesedauer: 3 Min.

»Die großen Anträge, die die Türkei derzeit an uns stellt - und das sind wirklich nicht wenige - haben wir alle ›on hold‹ gestellt«, behauptete Außenminister Sigmar Gabriel (SPD) zu Wochenbeginn in Berlin. Seine Chefin, Bundeskanzlerin Angela Merkel von der CDU, widersprach auf NDR-Info indirekt. Sie lehnt einen generellen Stopp der Rüstungsexporte in die Türkei ab. Es müsse von Fall zu Fall entschieden werden, denn die Türkei sei erstens ein NATO-Partner und zweitens sei Deutschland in Sicherheitsfragen auf die Zusammenarbeit mit der Türkei angewiesen.

Es ist nicht nur der Wahlkampf, der Ausflüchte und seltsame Rechtfertigungen suchen und finden lässt. So betont vor allem die Union, dass NATO- und EU-Partner bei Waffenexporten einen Sonderstatus genießen. Danach ist die Ausfuhr von Rüstungsgütern in diese Länder grundsätzlich nicht zu beschränken. Man beruft sich dabei auf die einschlägigen Politischen Grundsätze der Bundesregierung, die unter rot-grüner Regentschaft im Jahr 2000 aufgestellt wurden. Die jedoch bieten »in Einzelfällen« und »aus besonderen politischen Gründen« doch eine Beschränkungsmöglichkeit.

So wäre es also durchaus möglich, dass das zuständige Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (Bafa) keine neuen Ausfuhrgenehmigungen erteilt. Bereits abgesegnete Projekte dürften nicht betroffen sein, weil bislang keine Sanktionen gegen die Türkei beschlossen worden sind. Würde man bestellte Rüstungsgüter dennoch zurückhalten, drohten der Bundesregierung Entschädigungszahlungen an die betroffenen Firmen. Was zu verschmerzen wäre, wenn Sigmar Gabriel die Wahrheit sagt und es sich ohnehin nur noch um ganz wenige Genehmigungen handelt.

Tatsache ist jedoch auch, dass es bei den Genehmigungsverfahren für Rüstungsexporte seit Jahren zahlreiche Schlupflöcher gibt. Weder Gabriel noch Merkel zeigen Anstrengungen, die zu schließen.

Die deutsche Rheinmetall AG weiß diese Untätigkeit unter anderem beim Bau einer Panzerfabrik in der Türkei zu nutzen. Laut Außenwirtschaftsverordnung ist bei »technischer Unterstützung« deutscher Unternehmen für Rüstungsprojekte in Ländern wie der Türkei keine Genehmigung notwendig. So ist es also viel einfacher, eine genehmigungsfreie Fabrik für Panzer im Ausland aufzubauen, als sich die Ausfuhr jedes in Deutschland für die Türkei gebauten Panzers genehmigen zu lassen. Dank dieser Methode hat die Türkei längst auf vielen Gebieten eine durchaus leistungsfähige nationale Rüstungsindustrie geschaffen.

Rheinmetall hat sich - wie andere deutsche Rüstungskonzerne auch - durch Tochter- und Gemeinschaftsunternehmen im Ausland - auch andere umfassende Möglichkeiten geschaffen, um Exportbeschränkungen zu umgehen. Gerade wenn es um Munitionsnachschub geht. Gibt es wenig Aussicht auf eine Exportgenehmigung in Deutschland, dann liefert man aus Italien oder Österreich. Sind die EU-Beschränkungen auch dort zu groß, spannt man eine Fabrik in Südafrika ein. Dem Vernehmen nach will Rheinmetall mit neu zu bauenden Munitionsfabriken noch näher an den Kunden und dessen Kriegsschauplätze. In Planung sind - genehmigungslose - Fabriken in Indonesien sowie in der Türkei.

Ein viel benutztes Argument von Rüstungsexporteuren lautet: Wenn wir nicht liefern, liefern andere. Am Dienstag hat das NATO-Land Türkei einen Vertrag zum Import russischer Luftabwehrraketen vom Typ S 400 unterzeichnet. Kostenpunkt: 2,5 Milliarden US-Dollar. Es wäre verständlich, wenn sich verschiedene westliche Raketenproduzenten über den entgangenen Gewinn aufregen. Doch statt dessen hört man, dass durch den Einsatz russischer Technologie Schwierigkeiten bei der militärischen Zusammenarbeit innerhalb der westlichen Allianz entstünden. Ein seltsames Argument. Seit Jahren hat Nachbar und NATO-Staat Griechenland das russische Vorgängersystem S 300 im Einsatz.

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