Senat lässt Bürger im Regen stehen

Staat will Brunnenanlage im Blumenviertel schließen, wenn Bürger nicht selbst zahlen

  • Jan Schroeder
  • Lesedauer: 4 Min.

Der Boden ist feucht, die Tapete löst sich, und der Schimmel hat sich an den Wänden breitgemacht: Bisher verhinderte die Pumpe der Heberbrunnenanlage im Blumenviertel in Neukölln das Schlimmste, und dennoch liefen während der Regenfälle diesen Sommer wieder Keller voll. Thilo Vetter und andere Anwohner klagen nun gegen den Senat.

»Wenn die Anlage abgeschaltet wird, steigt hier der Grundwasserspiegel um einen bis eineinhalb Meter«, sagt Vetter und öffnet in seinem Keller einen Schacht, in dem schon jetzt bis knapp unter den Kellerboden Grundwasser steht. »Das Wasser würde in die Wände gehen, sich bis in den Wohnbereich hochziehen und nebenbei die ganze Statik zerstören«, sagt er. Der Senat will die Heberbrunnenanlage dennoch am 31. Dezember abschalten. Außer, so der Vorschlag des Senats, die Bürger gründen einen Verein, der die Brunnengalerie auf eigene Kosten weiterbetreibt. »Da müsste jemand für alle Risiken haften, und das will bei den Summen, um die es hier geht, wahrscheinlich niemand«, sagt Olaf Schenk, der Unterschriften dafür sammelt, dass der Senat den Brunnen weiterbetreibt. Er wohnt seit seiner Geburt vor 43 Jahren im Blumenviertel.

Der Senat hingegen sieht die Bürger in der Pflicht: »Die Brunnengalerie sollte lediglich das Wasser von Altlasten befreien, die vor der Wende entstanden sind. Diese Altwassersanierung ist längst beendet. Jetzt kann der Staat schon aus rein rechtlichen Gründen die Anlage nicht mehr weiterbetreiben«, sagt Matthias Tang, Sprecher der Umweltverwaltung.

Am Donnerstag hat die CDU im Abgeordnetenhaus einen Antrag für den Weiterbetrieb der Brunnenanlage eingebracht, der an den Umwelt- und Verkehrsausschuss überwiesen wurde. Die Grünenfraktion twitterte dazu: »Wir verlängern nicht noch mal um 10 Jahre, wir führen jetzt eine Lösung herbei.« Mittels einer Umfrage bei den betroffenen Haushalten will der Senat herausfinden, ob die Bürger generell bereit wären, einen Verein zu gründen, der die Brunnenanlage in Zukunft verwalten könnte. Das offizielle Ergebnis steht noch nicht fest. Außerdem ist noch unklar, wie die Vereinslösung rechtlich und organisatorisch überhaupt aussähe. »Wir wollen den Betroffenen natürlich helfen«, sagt Tang.

Davon sind einige Anwohner ganz und gar nicht überzeugt. »Die Argumentation des Senats ist fadenscheinig, es geht nicht um Altlasten, sondern um die Pflicht des Senats im Rahmen seiner Daseinsvorsorge, das im Jahre 1999 vom Abgeordnetenhaus gesetzlich übertragene Grundwassermanagement mit siedlungsverträglicher Grundwassersteuerung zu übernehmen«, sagt Klaus Langer, der zusammen mit Schenk Unterschriften sammelt und schon seit Anfang der 90er Jahre auf die Problematik im Brunnenviertel aufmerksam macht.

»Wer hier abschaltet, zerstört Wohnraum«, heißt es auf den roten Schildern, die Schenk, Langer, Vetter und andere im ganzen Viertel angebracht haben. Für sie stehen bis zu 4000 Haushalte auf dem Spiel. »Der Senat denkt, hier wohnen nur Großgrundbesitzer, dabei leben hier einfache Leute und ein Teil der Häuser sind sogar als Sozialwohnungen gebaut worden«, sagt Schenk.

Als in den Neunziger Jahren der Wasserverbrauch im Zuge der Deindustrialisierung in Ost-Berlin sank, stieg der Grundwasserspiegel. Damals hat der Senat interveniert und die Brunnenanlage gebaut, die nun abgeschaltet werden soll. Das kann auch Thilo Vetter nicht verstehen und zeigt auf den riesigen Heizöltank in seinem Keller: »Was glauben Sie, was passiert, wenn das ins Grundwasser kommt? Immerhin bin ich lange nicht der einzige, der so etwas im Keller hat«, sagt er.

Der Betrieb der Brunnenanlage kostet jährlich laut Auskunft der Umweltverwaltung etwa 250 000 Euro, wie hoch die Kosten für die Bürger und die Umwelt ausfallen würden, wenn nicht mehr abgepumpt wird, ist unklar. »Die wissen ganz genau, dass man die Brunnengalerie nicht ersatzlos streichen kann, aber öffentlich würde das natürlich niemand zugeben«, sagt Thilo Vetter. Als er bei der Polizei Strafanzeige gestellt hat, sei die diensthabende Beamtin erst skeptisch gewesen, habe sich dann aber selbst über den Senat empört.

Matthias Tang betont jedoch, dass »es nicht Aufgabe der Verwaltung ist politisch über das Grundwassermanagement zu entscheiden.« Währenddessen stehen die Bewohner des Blumenviertels weiter im Regen und warten auf konkrete Lösungsvorschläge des Senats.

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