Maßgeschneidert für die Buh-Bravo-Kontroverse

Die Oper Halle eröffnet die Spielzeit mit einem neuen »Fidelio« in der Regie von Intendant Florian Lutz

  • Roberto Becker
  • Lesedauer: 4 Min.

Einen Nerv muss Florian Lutz getroffen haben. Am Ende gab es nämlich auch in Halle eine Buh- und Bravo-Kontroverse für die Regie des neuen »Fidelio«, wie sie anderswo zum normalen Ritual gutbürgerlichen Diskursverhaltens in der Oper gehört. In der Saalestadt war das bis zum künstlerischen Neustart vor einem Jahr die Ausnahme. Über Konfektion regt man sich halt nicht so sehr auf. Mit einem Einzelstück der ästhetischen oder intellektuellen Haute Couture ist das schon anders. Nicht nur das Ganze gehört diesmal eher in diese Kategorie.

Eine Maßanfertigung trägt schon Anke Berndt als Leonore im Video zur Ouvertüre. Da rauscht sie mit einem grandiosen barocken Straßenfeger durch halb Halle. Sucht den Knast mit ihrem Florestan. Und findet ihn. Auf der Bühne des Opernhauses, die Martin Miotk ganz altmeisterlich mit Kerker-Prospekten ausgestattet hat. Kulissenpracht mit Riesentreppe, Gittern und Ketten. Was das Publikum schon wegen der Seltenheit nicht in Rage gebracht, sondern erfreut haben dürfte. Wie auch die Kostüme von Andy Besuch. Vor allem für Don Pizarro oder den Chor! Aber darum geht es nicht wirklich. Sondern um die Konfrontation von Beethovens Freiheitspathos mit dem Freiheitsverständnis und der Freiheitserfahrung von uns. Heute.

Die Kunst und die Bedingungen ihrer Produktion sind da noch immer ein guter Indikator, denn die Freiheit der Kunst und ihrer materiellen Voraussetzungen wird oft noch vor allen anderen einschränkt.

Damit scheint sich Florian Lutz, seit er Intendant in Halle wurde, mittlerweile ganz gut auszukennen. Da gibt es ein Publikum, das man durch Qualität interessieren, neugierig machen, aber auch halten muss! Da gibt es aber auch Politiker oder GmbH-Geschäftsführer, die zwar am gleichen Strang ziehen wie die Künstler, nur eben nicht immer in die gleiche Richtung.

Vor diesem ziemlich konkreten Hintergrund wird in Halle der Don Pizarro vom mord- und racheversessenen Fiesling zum mächtigen Konsolidierer der Finanzen fürs Theater. Da werden das Verscherbeln der Requisiten bei »Bares für Rares« und das Entlassen als Chance fürs Überleben des Unternehmens und einen persönlichen Neuanfang seiner Mitarbeiter verkauft. Und Don Pizarro zieht - im Kostüm eines Barockfürsten - gegen das »narzisstische Stadttheater« mit einer Inbrunst zu Felde, wie der reale Geschäftsführer gegen das »depressive Staatstheater«. So wird auch aus dem eingekerkerten Florestan ein in Sachzwängen gefangener Florian (L.), aus dem Gefängnis ein Intendantenbüro und aus dem mordlustigen Gouverneur ein streich- und entlassungsfreudiger Manager.

Ähnlichkeiten mit lebenden Bürgermeistern oder Geschäftsführern sind bei diesem - zugegeben - frechen Ausflug in den selbstironischen Slapstick natürlich rein zufällig. Die Hallenser können das spielend entschlüsseln. Für die anderen funktioniert es als exemplarischer Fall.

Nun hat noch jede ambitionierte Fidelio-Inszenierung auch eine andere als die konkrete überlieferte Geschichte erzählt. Vergreifen an oder ändern, gar Streichen der überlieferten Sprechtexte gehören bei dieser Oper seit langem zum guten Ton. Gelingen: mehr oder weniger. Ob in Halle am Ende beim Publikum das eine oder andere überwiegt, wird sich zeigen. Auf jeden Fall ist es höchst unterhaltend. Und umgeht alle Peinlichkeiten, die ein Fidelio vom Blatt (selbst, wie letztens bei einem Harry Kupfer) haben kann.

Das triumphale Finale etwa mit seinem Preisen von Freiheit und Gattenliebe wird mit einem Video überblendet und manchmal auch kurz unterbrochen, in dem Hallenser auf der Straße nach ihrem Freiheitsbegriff befragt werden. Beethoven stellt die Frage, Zeitgenossen von heute antworten. Das ist eine pfiffige Pointe, nach dem Selbstporträt der Opernmacher in Gefängnis ihrer Sachzwänge. Fidelio, zwar nicht todernst zelebriert, aber ernst interpretiert. Neben Anke Berndt in der Titelrolle, Gerd Vogel als Don Pizarro und dem Gast Hans Georg Priese als Florestan überzeugen vor allem Ines Lex und Robert Sellier mit ihren singspielfrischen Porträts von Marzelline und Jaquino. Christopher Sprenger muss ein paar Klippen umschiffen, führt dann aber die Staatskapelle in ein fulminantes Finale. Danach übernahm lautstark das Publikum ...

Nächste Vorstellungen: 24. September; 22., 28. Oktober

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