Nahe am Verkehrsinfarkt

Nordrhein-Westfalens Ballungsräume brauchen schnelle Hilfe, doch die Politik zeigt sich überfordert

  • Sebastian Weiermann
  • Lesedauer: 3 Min.

Freitagabend in Nordrhein-Westfalen. Im Verkehrsfunk werden Staus erst ab mehreren Kilometern Länge angesagt. Dafür gibt es öfter Meldungen über gesperrte Bahnstrecken. NRW hat ein riesiges Problem mit seiner Verkehrsinfrastruktur. Im Schienenverkehr zeichnet sich der erste Schritt zu einer Lösung ab. Der Rhein-Ruhr-Express (RRX) befindet sich im Bau und auch am Schienennetz finden Baumaßnahmen statt. Ab dem kommenden Jahr sollen die neuen RRX-Züge fahren. Das Fernziel ist ein Viertelstundentakt des Regionalzuges zwischen Dortmund und Köln. Bis zur Fertigstellung der Gesamtplanung wird es allerdings wohl noch bis zum Jahr 2035 dauern.

Und auch dann gibt es noch ein Problem. Während im Rheinland auf dem Abschnitt zwischen Köln und Duisburg das Schienennetz großflächig ausgebaut werden soll, ist dies im Ruhrgebiet kaum möglich. In dem Ballungsraum verlaufen die Schienen mitten durch die Städte. Ein Ausbau ist hier oft aus Platzgründen ausgeschlossen.

Dieses Problem teilt die Schiene mit der Autobahn A40, auch sie führt mitten durch die Städte im Ruhrgebiet. Und ist ein Staumagnet. Wenn wie im August noch eine Brückensperrung hinzukommt, sind Teile der Autobahn permanent dicht. Die Rheinbrücke Duisburg Neuenkamp war im August wegen Rissen in ihrer Seilverankerung für zwei Wochen gesperrt worden. Die Brücke wurde zwar wieder freigegeben, aber bald soll eine Schranke sie für Lkw mit einem Gewicht von mehr als 44 Tonnen sperren. Insgesamt fahren fast 100 000 Autos über die Brücke. Geplant wurde sie 1970 für 30 000 Autos. Ein Neubau soll 2026 fertiggestellt werden.

Viel länger noch als die Duisburger ist die beinahe baugleiche Leverkusener Rheinbrücke der A1 ein Nadelöhr in der Verkehrsinfrastruktur Nordrhein-Westfalens. Wegen ihrer Risse ist sie mit kurzer Unterbrechung seit 2012 für Fahrzeuge mit einem Gewicht ab 3,5 Tonnen gesperrt. Immer wieder fahren allerdings größere Fahrzeuge in die 2015 aufgestellten Schranken auf der Brücke. Auch sie sorgen für Staus. Ein Neubau ist auch hier in Planung, und der sorgt für großen Streit. Für den Neubau der Brücke müsste eine Mülldeponie des Bayerkonzerns geöffnet werden. Auf ihr lagern Industrieabfälle, einige davon sind krebserregend. Bürgerinitiativen und Anwohner hatten deshalb gegen den Neubau geklagt. Am kommenden Mittwoch will das Bundesverwaltungsgericht ein Urteil fällen. Viele Leverkusener würden statt einer neuen Brücke lieber einen Tunnel sehen. Dafür müsste die Deponie nicht geöffnet werden, und die Lärmbelastung in der Stadt würde zurückgehen. Eine Tunnellösung wurde allerdings schon früh wegen der längeren Bauzeit und den Mehrkosten verworfen. Ob ein Tunnel je ernsthaft in Erwägung gezogen wurde, stellen E-Mails in Frage, über die das WDR-Magazin »Westpol« am Sonntagabend berichtete. Ein wichtiger Planer im Verkehrsministerium schrieb 2015 an den damaligen Verkehrsminister und heutigen Vorsitzenden der NRW-SPD, Michael Groschek, man solle »nach außen sagen, dass man sich eine Tunnellösung ernsthaft gewünscht habe«. Er selbst sei aber dafür, diese Variante auszuschließen. In seiner Mail bezog sich der Planer auch mehrfach auf einen Lobbyisten der chemischen Industrie, der sich eine »eng abgestimmte Kommunikation nach draußen« wünschte. Michael Groschek sagte dem WDR-Magazin, dass er mit der chemischen Industrie »wie mit allen anderen Akteuren« gesprochen habe. Für Groschek, der die NRW-SPD wieder näher an die Bürger bringen möchte, könnte durch die Absprachen ein Glaubwürdigkeitsproblem entstehen.

Auch die neue Landesregierung muss sich um die Leverkusener Brücke kümmern. CDU und FDP hatten das »Stauland NRW« im Wahlkampf immer wieder thematisiert. Sie warfen der alten Koalition vor, Bundesgelder, die für bestimmte Zeiträume genehmigt waren, durch fehlende und zu langsame Planungen verfallen lassen zu haben. Der neue Verkehrsminister Hendrik Wüst von der CDU setzt voll auf den Ausbau von Autobahnen. Die Einführung der Sechs-Tage-Woche an Autobahnbaustellen und ein Prämiensystem für Unternehmen mit kurzen Bauzeiten sind erste Pläne von Schwarz-Gelb.

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