Italien: In Prato sind schädliche Emissionen in Mode

Am größten Textilstandort Europas wird auf Recycling gesetzt, doch die Produktions­abfälle ent­halten Schad­stoffe, die Krank­heiten verursachen

  • Francesco Bertolucci
  • Lesedauer: 6 Min.
Die italienische Stadt Prato ist bekannt für das Recycling von Kleidung. Aber das hat auch seine Schattenseiten.
Die italienische Stadt Prato ist bekannt für das Recycling von Kleidung. Aber das hat auch seine Schattenseiten.

Früher wurde Prato als »Die Stadt der drei Finger« bezeichnet, wegen der vielen Arbeitsunfälle. Dann wurde sie zur »Stadt der Chinesen«, wegen der starken Immigration aus Asien in den vergangenen 30 Jahren. Prato, die Hauptstadt der gleichnamigen Provinz in der Nähe von Florenz in der Toskana, ist seit Jahrhunderten mit der Textilproduktion verbunden. Die Region hat sich zu einem der größten Standorte der Textilindustrie weltweit entwickelt. Angefangen hatte es mit Wolle, später kamen andere Textilfasern hinzu. Dies wurde durch die Lage der Stadt an den Flüssen Bisenzio und Ombrone begünstigt. Einerseits ist die Stadt reich und zu einem Zentrum der Mode geworden, mit Unternehmen, die für Marken wie Burberry, Prada, Valentino oder Armani produziert haben oder produzieren. Andererseits kamen im Laufe der Jahre wegen der Produktion und ihrer Abfälle auch einige Probleme.

»Die aktuellen Daten aus dem Gebiet von Prato zeigen Umweltprobleme bezüglich der Wasserqualität, die mit der historischen industriellen Entwicklung der Region in Zusammenhang stehen«, erklärt Francesco Cipriani, Direktor der Abteilung Epidemiologie bei der lokalen Gesundheitsbehörde Toscana Centro. Die aktuellen Daten der regionalen Gesundheitsagentur und des Krebsforschungszentrums Ispro verweisen auf mögliche kritische Punkte, so Ciprinai weiter, »schließen jedoch nicht aus, dass auch weniger gesundheitsschädliche Risikofaktoren existieren können, wie beispielsweise die durch die industrielle und insbesondere textile Produktion verursachte Verschmutzung«.

»Die Textilindustrie hat sich zu einer Zeit entwickelt, als Umweltaspekte keine Rolle spielten«, erklären Maria Rita Cecchini und Marco Benedetti von der Umweltschutzvereinigung Legambiente in Prato. »Das Wasser aus den Färbereien gelangte in die Böden und den Fluss, der manchmal rot, dann mal wieder blau oder gelb war. Es gab nicht einmal mehr Frösche. Was heute in den Gewässern, Böden und Abwasserkanälen zu finden ist, kann bis zu 10, 20, 30 Jahre oder noch älter sein. Aber dennoch hat sich definitiv etwas verbessert.«

Greenpeace untersucht Chemikalien in Abwässern

Um herauszufinden, was in den Abwässern landet, hat Greenpeace die Gewässer analysieren lassen. Die Forschung konzentrierte sich vor allem auf per- und polyfluorierte Alkylverbindungen – besser bekannt als PFAS. Das ist eine Gruppe künstlicher Substanzen, die auch als Ewigkeitschemikalien bezeichnet werden und Produkten Eigenschaften wie Gleitfähigkeit, Beständigkeit gegen Hitze, Öl, Flecken, Fett und Wasser verleihen.

»Wir haben die Abwässer aus den Kläranlagen untersucht, die in den Ombrone und den Rio Calicino fließen«, erklärt Giuseppe Ungherese, Verantwortlicher für die Umweltkampagne bei Greenpeace. »Dabei haben wir sehr hohe Werte festgestellt. In einer so großen Region ist es schwierig zu sagen, wer schuld ist, aber es zeigt sich, dass es Unternehmen gibt, die diese Substanzen verwenden. Die Ursachen können vielfältig sein, und die Verschmutzung hat möglicherweise entfernte Ursprünge. Schon 2013 zeigte eine Studie des staatlichen Forschungsinstituts für Umweltschutz Ispra, dass im Mündungsbereich des Ombrone PFAS-Werte festgestellt wurden, die mit denen in Venetien vergleichbar waren. Mittlerweile sind mehr als zehn Jahre vergangen, und ich habe keine Reaktion der öffentlichen Verwaltung gesehen, etwas zu unternehmen.«

»Jeder, den ich kenne und der hier lebt, hat mindestens einen Fall von Krebs oder degenerativen Krankheiten in der Familie.«

Tommaso Chiti Umweltobservatorium

Was den Nachweis von PFAS betrifft, haben Vereinigungen wie das Forum Toscano Movimenti per l’Acqua (Toskanisches Forum der Bewegungen für das Wasser) einen Brief an die Behörden der Region geschickt. »Wir haben nie eine Antwort erhalten«, sagt Rossella Michelotti, Sprecherin des Forums, »es herrscht ohrenbetäubendes Schweigen.«

Nach Angaben der regionalen Umweltschutzbehörde der Toskana gibt es im Gebiet von Prato eine Zone mit großer Verschmutzung durch organische Halogenverbindungen im Grundwasser, für die ein regionaler Verwaltungsausschuss eingerichtet wurde. Auch die Luftqualität ist nicht optimal. Inwieweit die Modeindustrie dazu beiträgt, ist nicht bekannt. Nach den Daten der Europäischen Umweltagentur hat der Kauf von Textilprodukten in der Europäischen Union allein im Jahr 2020 etwa 270 Kilogramm CO2-Emissionen pro Person verursacht. Die globalen Kohlenstoffemissionen machen demnach zehn Prozent der Gesamtemissionen aus – mehr als der Seeverkehr und der internationale Flugverkehr zusammen.

»Neben dem Verkehr sind in der Industrie vor allem Färbereien, Wäschereien und chemische Verarbeitungsprozesse am umweltschädlichsten«, betont Tommaso Chiti vom Umweltobservatorium. »Oft handelt es sich um Anlagen, die nachts arbeiten, um die Grenzwerte nicht zu überschreiten, da tagsüber beispielsweise auch der Verkehr eingerechnet wird. Diese Kombination macht Prato und die umliegenden Gebiete zu einer der am stärksten verschmutzten Städte Italiens. Besonders schädlich sind die verwendeten Chemikalien, allen voran Tetrachlorethylen.«

Grüne Initiativen versus Gesundheitsgefahren

Viele Unternehmen in Prato haben sich seit 2016 dem Detox-Programm von Greenpeace angeschlossen, mit dem sie über 13 Millionen Meter Stoff jährlich ohne schädliche Chemikalien für die Umwelt produzieren. »Das ist jedoch nur ein kleiner Teil des gesamten Sektors«, bemerkt Silvia Tarocchi vom Arbeitgeberverband Confindustria.

»Prato ist ein Vorreiter im Bereich Recycling und Kreislaufwirtschaft«, erklärt Fausto Ferruzza, Präsident des Umweltverbands Legambiente Toskana. »Andererseits gibt es jedoch Unternehmen, die gegen das Gesetz verstoßen, indem sie Textilabfälle illegal entsorgen.«

Die illegale Entsorgung von Textilabfällen ist ein großes Problem. Inspektor Massimo Caciolli erzählt: »Fahrzeuge transportieren bis zu 40 Säcke mit Textilabfällen, die zwischen 30 und 50 Kilogramm wiegen, häufig aus der Fast-Fashion-Industrie, meist chinesischer Herkunft. Diese landen auf den Straßen, im Fluss Bisenzio und auch in anderen Provinzen. (…) Wer erwischt wird, muss mit einer Geldstrafe oder der Beschlagnahmung des Fahrzeugs rechnen.«

Die negativen Auswirkungen der Textilverarbeitung und der illegalen Abfallentsorgung betreffen viele Anwohner besonders in Prato Süd. In dieser Grenzregion, die in der Nähe großer Industriegebiete liegt, mit Klärwerk und Müllverbrennungsanlage, leiden viele Menschen unter schweren gesundheitlichen Problemen.

»Jeder, den ich kenne und der hier lebt, hat mindestens einen Fall von Krebs oder degenerativen Krankheiten in der Familie«, sagt Tommaso Chiti. »Als wir 2019 bei der Gesundheitsbehörde von Prato eine epidemiologische Untersuchung beantragten, wurde uns gesagt, dass sie durchgeführt werden müsste – doch niemand unternahm etwas.« Eine frühere epidemiologische Studie des Instituts für Onkologische Prävention hatte bereits gezeigt, dass die Sterblichkeitsrate bei Lungenkrebs in einem Umkreis von 1,5 Kilometern um das Baciacavallo-Klärwerk mehr als doppelt so hoch ist wie in anderen Stadtteilen.

Sonia Fligor vom Komitee zum Schutz der Gesundheit in Prato Süd berichtet: »Ich habe ein Zimmer mit Aussicht auf das Klärwerk und die Müllverbrennungsanlage, von der ständig eine Dunstglocke mit Schadstoffen aufsteigt, die sich in den Wassertropfen konzentrieren. Studien der Universität Florenz zeigen, dass diese Substanzen der Gesundheit schaden können. Das Klärwerk verbrennt Sondermüll, nämlich Klärschlämme, die giftige Stoffe freisetzen, die als PFAS in der Luft und im Wasser verbleiben. Vor Jahren analysierte die örtliche Gesundheitsbehörde die Dioxine in Hühnern und Gänsen und fand Werte von 46 Nanogramm pro Kilogramm. Der Grenzwert liegt bei 3 Nanogramm. Das relative Krebsrisiko liegt bei 2,28, ist also mehr als doppelt so hoch wie in anderen Stadtteilen. Und jetzt wollen sie auch noch einen riesigen Industriekomplex von 8000 Quadratmetern und eine weitere Müllverbrennungsanlage bauen – nur 59 Meter von einer Schule entfernt und 100 Meter von einem Kindergarten. Seit Jahren protestieren wir, die Menschen sterben, doch niemand hört zu. Die Situation wird nur noch schlimmer.«

Dieser Artikel erschien im Oktober 2024 in unserem italienischen Partnermedium »Il Manifesto«. Übersetzung: Cyrus Salimi-Asl

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