Superzecke versus Pharaoman

Die Serie »The Tick« macht sich über den derzeitigen Superheldenhype lustig

  • Jan Freitag
  • Lesedauer: 3 Min.

Gary Larson hat es mal versucht: Aus Insekten Stars zu machen. In einem seiner beißend-witzigen Strips zeigt der Großmeister des respektlosen Cartoons Krabbeltiere. Allerdings hat es die Geschichte über den Piloten hinaus nicht zur Serienreife gebracht, denn die Insekten waren Zikaden, Moskitos, eher Schädlinge als Sympathieträger und daher völlig untauglich für jene Art absurd uniformierter Kämpfer fürs irgendwie Gute, die seit Jahren das Kino dominieren. Man muss sich daher kurz Gary Larsens Kurzcomic ins Gedächtnis rufen, um zu verstehen, was da ab dem heutigen Freitag bei Amazon Prime abgeht.

Die Streamingsparte vom Superschurken der Einzelhandelsbranche hat nämlich einen Superhelden erdacht, den man sich nicht unbedingt in seiner Nähe wünscht. Er heißt »The Tick«, zu Deutsch: die Zecke. Gepresst in ein lächerlich blaues Kostüm mit zappelnden Fühlern auf dem Kevlarhelm trifft das menschliche Insekt auf den nerdigen Außenseiter Arthur Everest und versucht, mit ihm eine Stadt, die entfernt an New York erinnern soll, vor einem Superschurken zu retten, der nicht Amazon heißt, sondern The Terror.

Genau dem war Arthur, wie wir in einer Rückblende erfahren, als Kind begegnet, was den Jungen nachhaltig traumatisiert und zum Verschwörungstheoretiker gemacht hat. Als er nun 15 Jahre später gerade mal wieder auf der Suche nach Beweisen für die drohende Machtübernahme durch den Fiesling in Pharaonenmaske ist, läuft Arthur die Zecke über den Weg und macht ihn zu seinem Sidekick, wie sie es nennt. Das alles ist heillos überdreht, manchmal richtiggehend albern, für eingefleischte Fans des Genres also ziemlich unerträglich.

Doch in der Springflut seltsam ernst gemeinter Mutanten von »Wonder Woman« bis »Wolverine«, von »Spider Man« bis »Dr. Strange«, die allein in den vergangenen zwölf Monaten zu Kassenschlagern reanimiert wurden, ist »The Tick« genau deshalb endlich mal wieder ein augenzwinkernder Superheldenstoff. Was auch an den Darstellern liegt. Peter Serafinowicz zum Beispiel, selbst Insidern wohl allenfalls als Stimme vom »Star Wars«-Fiesling Darth Maul bekannt, spielt die Fernsehversion der gleichnamigen Comicreihe hingebungsvoll selbstverliebt. Unverwundbar und bärenstark, dazu tollkühn und idealistisch ist er dank seines notorischen Overactings vor allem eines nämlich nicht: sonderlich heroisch.

Das wiederum verbindet ihn mit dem untersetzten Underdog Arthur, dem der bestens gebuchte Episodennebendarsteller Griffin Newman (»Vinyl«) mit Hornbrille und Kurzarmhemd eine Unscheinbarkeit von angemessener Größe, also Winzigkeit, verleiht. Die wird dann noch verstärkt durch seinen mausgrauen Antiheldenanzug, der im Erregungsanzug Mottenflügel erhält. Produziert vom Vorlagenzeichner Ben Edlund, ist all dies unter der Regie von Wally Pfister natürlich fern von Tiefgang, gar Intellektualität. Was zählt, ist quietschbunter, wohlkalkulierter, technisch versierter Schauwert, den besonders die wesensbösen Gegenspieler wie Miss Lint (Yara Martinez) im Stakkato liefern.

Trotzdem entwickelt das Gespann eines wohlmeinenden Großmauls mit seinem sozial benachteiligten Partner als Korrektiv durchaus eine gewisse Tragikomik, gepaart mit Selbstironie. Und die stünde ja auch den Kommerzgewächsen von Marvel bis DC gut zu Gesicht, die das wachsende Bedürfnis nach Mackern mit Muckis, Macht und Durchsetzungsvermögen ohne jeden Anflug von Reflexion bedienen. »The Tick« ist natürlich reines Eye Candy. Aber eben welches mit absurdem Charme. Gary Larsen wäre entzückt.

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