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Die Zeitbombe Jan G. ging hoch

Anwalt Diestel wünscht Aufklärung über Behördenversagen im Fall des Dreifachmörders

»Am Kopf war eine Blutlache.« Am Mittwoch schilderte im Landgericht Frankfurt (Oder) ein Rettungssanitäter, wie die Einsatzkräfte am 28. Februar 2017 die Großmutter des Angeklagten in ihrem Haus in Müllrose gefunden haben.

Jan G. wird beschuldigt, seine Großmutter erstochen und auf der Flucht bei Oegeln zwei Polizisten totgefahren zu haben. Dazu hätte es nicht kommen müssen, ist Rechtsanwalt Peter-Michael Diestel überzeugt. Er vertritt die Mutter des Angeklagten und wirft den Behörden massives Versagen und verantwortungslose Gleichgültigkeit vor. »Das muss analysiert werden, das muss herausgearbeitet werden«, sagte Diestel zum Prozessauftakt am Dienstag im rbb-Inforadio. Die Mutter habe sich an Betreuer des psychisch kranken Sohnes gewandt und an Gerichte, habe immer wieder über die Gefahr informiert, die von Jan G. ausgehe. »Was kann man denn noch machen, als vor einer solchen Zeitbombe zu warnen?«

Schon zuvor hatte die Mutter in einem Interview der »Märkischen Oderzeitung« (MOZ) erzählt: »Er hat mehrmals gedroht, er werde die Familie ausrotten, und wer dabei noch draufgeht, das sei ihm völlig egal. Wenn wir die Polizei geholt haben, baute er sich wie ein Gorilla auf und warnte: ›Wenn du mich noch mal anzeigst, bist du tot.‹« Die Familie habe gegen Windmühlen gekämpft.

Der Landtagsabgeordnete Volkmar Schöneburg (LINKE) kann dagegen nach eigenem Bekunden »gravierende Fehler« der Behörden nicht erkennen. Zwar war Jan G. wegen Drogenmissbrauchs, Fahrens ohne Führerschein und Raubs früher schon mit dem Gesetz in Konflikt geraten, und das Landgericht Frankfurt (Oder) hatte 2016 seine Unterbringung in der Psychiatrie angeordnet. Doch ein Gutachter bescheinigte Jan G., sein Leiden könne ambulant besser therapiert werden, und so kam er zur Bewährung frei. Schöneburg, von Beruf Rechtsanwalt und vor seiner Zeit als Politiker als Strafverteidiger tätig, kann nur bestätigen, dass Schizophrenie erfahrungsgemäß ambulant besser zu behandeln sei. Die Krankheit sei durch Medikamente beherrschbar, weiß er. Doch habe sich Jan G. seiner Behandlung entzogen. Hätte hier schneller reagiert werden müssen? Nach Einschätzung von Schöneburg blieb dafür wenig Zeit, denn die Spanne zwischen Therapieverweigerung und Bluttat sei vergleichsweise kurz gewesen.

Nachdem Jan G. freikam, hatte die Großmutter ihn bei sich aufgenommen - und bezahlte dafür mit ihrem Leben, an ihrem 79. Geburtstag. Die MOZ berichtete, der Vater sei gestorben, als Jan G. drei Jahre alt war. Kurz darauf sei der Junge vom Vater seiner ältesten Halbschwester sexuell missbraucht worden. Offensichtlich habe er schon lange Gewaltfantasien gehabt und auch ausgelebt. 2015 habe er seiner Katze das Genick gebrochen und das Tier mit Kerzen aufgebahrt.

Seit seiner Festnahme befindet sich Jan G. nun doch in der geschlossenen Psychiatrie. »Ich kann sagen, dass es mir leid tut«, äußerte er vor Gericht. Vermutlich bleibt der Angeklagte für den Rest seines Lebens weggeschlossen. Die Staatsanwaltschaft stellte bereits klar, dass sie wahrscheinlich Sicherungsverwahrung beantragen werde. Die Chancen, dort wieder rauszukommen, sind gering.

Bei aufsehenerregenden Bluttaten fällt das Augenmerk hinterher auf die Vorzeichen, denen nicht genug Beachtung geschenkt wurde. Andererseits gibt es ganz sicher Fälle, wo Menschen vorsorglich in Sicherungsverwahrung genommen wurden, die nie wieder einem Menschen ein Leid angetan hätten. Das lässt sich dann allerdings nicht beweisen, sondern nur vermuten. Experten gehen davon aus, dass acht von zehn Sicherungsverwahrten unnötig eingesperrt sind. Genau darum ist die Sicherungsverwahrung eine umstrittene Maßnahme. Im umgekehrten Fall - ein entlassener Täter wird erneut gewalttätig - ist der bedauerliche Irrtum des Gutachters dann sonnenklar und sorgt für Empörung. »Ein Risiko besteht immer«, bedauert Schöneburg. »Gefährlichkeitsprognosen weisen eine hohe Fehlerquote auf.«

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