Das Handy kauft den Fahrschein

Zehn Nominierungen für den Innovationspreis Berlin-Brandenburg vorgestellt

Am Bahnhof Berlin-Wannsee schließen die Türen der S-Bahn. Nächste Station ist Potsdam-Griebnitzsee. Ein Kontrolleur ruft: »Die Fahrscheine bitte!« Mehrere Touristen können nur ein Ticket für den Tarifbereich AB vorweisen. Doch sie haben gerade die Stadtgrenze überquert und damit den Tarifbereich C erreicht. Ein französisches Paar versteht nicht gleich, worin das Problem besteht. Sie haben unabsichtlich das billigere, hier nicht mehr gültige Ticket gelöst. Sie verstehen kein Deutsch. Doch der Kontrolleur bedauert. An den Fahrkartenautomaten sind verschiedene Weltsprachen wählbar, auch Französisch. Das Paar hätte die Erklärungen finden können. Jetzt muss es 120 Euro berappen.

Mit der Smartphoneapp »Ticket easy« (Fahrschein leicht) der Motion Tag UG wäre das nicht passiert. Die Berliner Firma entwickelte ein System für den öffentlichen Nahverkehr, bei dem sich der Fahrgast nur anzumelden braucht. Dann ermittelt »Ticket easy« über mobile Daten, in welchen Bus oder Zug der Fahrgast ein- oder umsteigt und rechnet den jeweils günstigsten Preis mit den Verkehrsunternehmen ab. Auch die faire Verteilung der Mittel etwa zwischen Berliner S-Bahn und Potsdamer Verkehrsbetrieb könnte so künftig durch eine punktgenaue Abrechnung geklärt werden. Der Fahrgast muss sich um nichts kümmern. Er steigt ein, den Rest erledigt sein Mobiltelefon.

Mit dem neuartigen Ticketsystem ist die Motion Tag UG für den diesjährigen Innovationspreis Berlin-Brandenburg nominiert. Vergeben wird er am 1. Dezember auf dem Gelände der Universität Potsdam. Je 10 000 Euro Preisgeld für bis zu fünf Innovationen stehen in Aussicht. Es gab diesmal 134 Einreichungen.

Ob es der beste oder der zweitbeste Jahrgang sei, vermag die Juryvorsitzende Jutta Allmendinger nicht zu sagen. »Auf jeden Fall war es ein sehr guter«, betont sie am Donnerstag bei der Präsentation der zehn Nominierungen. Die Auswahl sei sehr schwer gefallen.

Im vergangenen Jahr war lediglich ein brandenburgisches Unternehmen nominiert, das dann auch noch leer ausging. Dieses Jahr sind gleich sechs nominierte Ideen und Produkte entweder ganz in Brandenburg oder zumindest unter Beteiligung von Brandenburgern auf den Weg gebracht worden. Darunter befinden sich spezielle Profilplatten für Wärmeübertragungssysteme, wie sie etwa in Pkw-Motoren verbaut werden. Die neuartigen Platten seien leichter und nicht so anfällig für Rost wie herkömmliche Edelstahlplatten, erläutert Ingenieur Felix Kuke von der Technischen Universität in Cottbus. Außerdem sei der Wartungsaufwand geringer und die Wärmeleistung liege um mehr als 50 Prozent höher.

In Dahlewitz und Senftenberg ist die GA Generic Assays GmbH ansässig. Sie erfand ein medizinisches Testbesteck zur Diagnose akuter Entzündungen der Bauchspeicheldrüse. Es gebe 50 Erkrankungen auf 100 000 Menschen und die Sterberate liege bei fünf Prozent, erklärt der Geschäftsführende Gesellschafter Dirk Roggenbuck. Dies bedeute, dass allein in Berlin jedes Jahr 50 bis 80 Patienten wegen einer akuten Entzündung der Bauspeicheldrüse ihr Leben verlieren. Gerettet werden könnten sie bei einer frühzeitigen Diagnose und einer darauf folgenden schnellen intensivmedizinischen Behandlung. Roggenbuck und seine Kollegen sind überzeugt, mit ihrem Testbesteck einen Beitrag zu leisten.

Um die Rettung der Umwelt geht es bei der extern befeuerten Gasturbine zur Verwertung versteckter Reststoffe. Die Professor Dr. Berg & Kießling GmbH mit Sitz in Berlin-Adlershof entwickelte ein containergroßes und versetzbares Minikraftwerk, das aus verunreinigter Biomasse, Produktionsresten, Fackelgasen und Müll noch Strom und Wärme gewinnt. Die GmbH hat auch ein Standbein in Brandenburg. Wie Sebastian Kießling berichtet, werden die Anlagen in einem alten Luftfahrthangar in Cottbus getestet.

In Zusammenarbeit der Sicoya GmbH in Berlin-Adlershof und der IHP Solutions GmbH in Frankfurt (Oder) entstehen Siliziumchips, in die photonische Schaltkreise integriert werden können. In hohen Stückzahlen kostengünstig gefertigt werden die Chips in Frankfurt (Oder).

In Berlin und Bernau erdacht und in Bernau hergestellt werden die Tinkerbots. Es sind Technikbaukästen, mit denen Kinder ab fünf Jahren Roboter zusammensetzen, sie programmieren und steuern können. Drei Patente habe die Kinematics GmbH bereits angemeldet, schon bestätigt sei das Patent für einfache Steckverbindungen. Die Konkurrenz arbeite noch mit Kabeln, erzählt Chefin Adrienne Fischer stolz. Sündhaft teuer ist das Spielzeug zwar. Allein das Startset kostet 119,95 Euro, die Erweiterung 229,95 Euro. Doch für das vergleichbare Erzeugnis Mindstorm des Lego-Konzerns werden teils selbst im gebrauchten Zustand noch höhere Summen verlangt. »Man müsste Programmieren in Deutschland viel früher lernen«, wirbt Adrienne Fischer dafür, Kindern mit den Tinkerbots eine pädagogisch wertvolle Freude zu machen. Sie selbst habe Programmieren erst in der Universität gelernt, viel zu spät, wie sie findet. Selbst Spanien sei da mit speziellem Unterricht in seinem Bildungswesen viel weiter.

Ein volumetrisches Video, die Schlüsseltechnologie für einen begehbaren Film, gelang dem Potsdamer Labor der Produktionsfirma UFA in Kooperation mit dem Fraunhofer-Institut. Mit dem Kurzfilm »Gateway to Infinity« sei erstmals ein Streifen entstanden, bei dem die Technologie vollständig umgesetzt wurde, heißt es. Der Zuschauer kann quasi in den Film einsteigen, virtuell um die Schauspieler herumlaufen, sie von allen Seiten betrachten.

Unter den Nominierungen findet sich übrigens noch eine zweite Innovation für den öffentlichen Personennahverkehr. Die Dilax Intelcom GmbH aus Berlin-Moabit präsentiert eine Software, die Daten wie Wettervorhersagen und Termine von Großereignissen wie Fußballspielen sammelt, um ein erhöhtes Fahrgastaufkommen für bestimmte Zeiten zu prognostizieren.

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