Angst vor Veränderungen

Brandenburgs Linksparteichef Christian Görke zur abgesagten Kreisgebietsreform

Herr Görke, schon etwas länger, aber auch in der ganzen Zeit, in der Sie Landesvorsitzender sind, musste die LINKE in Brandenburg eine Wahlniederlage nach der anderen einstecken. Zweifeln Sie manchmal an sich selbst?

Wenn ein Politiker aufhört, sein Handeln auch zu hinterfragen, sollte er abtreten. Zweifeln hilft da nicht wirklich weiter. Aber schauen Sie sich mal die Wahlergebnisse und Umfragen für Ostdeutschland an: da werden Sie schnell erkennen, dass sich diese überall auf einem ähnlichen Niveau eingependelt haben, insofern ist Brandenburg kein Spezialfall. Aber zum Glück sind wir in Brandenburg ein großer, konstruktiver und stabiler Landesverband, mit dem auch in Zukunft zu rechnen ist.

Christian Görke

Christian Görke ist von Beruf Lehrer für Geschichte und Sport, seit Januar 2014 brandenburgischer Finanzminister und zugleich Landesvorsitzender der Linkspartei. Über die abgesagte Kreisgebietsreform und die politischen Projekte bis zur nächsten Landtagswahl 2019 sprach mit ihm nd-Redakteur Andreas Fritsche.

Angesichts der Tatsache, dass die SPD in den Meinungsumfragen bis auf 23 Prozent abstürzte und die LINKE nicht über 18 Prozent hinauskommt, die rot-rote Koalition also keine Mehrheit mehr hat: Wo sehen Sie sich in drei Jahren?

Aus den letzten Umfragen geht hervor, dass wir als LINKE stabil und mit einer positiven Tendenz bewertet werden und dass uns mehr und mehr junge Menschen wählen. Das macht uns Mut und darauf können wir aufbauen. Meinungsumfragen sind zwar immer nur Momentaufnahmen, aber sie motivieren uns auch, unsere politischen Angebote zu schärfen. Es ist jedenfalls keine Übertreibung, wenn ich sage, dass wir für Brandenburg sehr viel erreicht haben.

Jetzt müssen wir dafür sorgen, dass dies auch landauf, landab spürbar wird. Wir haben dafür gesorgt, dass über 2200 zusätzlichen Erzieherinnen und Erziehern für Brandenburgs Kitas eingestellt worden sind, hinzu kommen 4000 neu eingestellte Lehrerinnen und Lehrer an unseren Schulen, und wir haben in der Koalition fest verabredet, 2018 mit der Beitragsfreiheit für die Kindertagesstätten zu beginnen. Ich möchte, dass jedes Kind eine Kita besuchen kann, das darf keine Frage mehr an die Eltern sein, ob sie sich das leisten können oder nicht. In drei Jahren, um bei Ihrer Frage zu bleiben, möchte ich, dass Brandenburg unter anderem als attraktives Bildungsland wahrgenommen wird, das gerade für Familien mit Kindern lebenswerter geworden ist.

Möchten Sie den LINKE-Landesverband noch bis zur Landtagswahl 2019 und darüber hinaus führen?

Eine reizvolle Aussicht, doch darüber entscheiden wir in der Partei gemeinsam, wenn es soweit ist.

Die Satzung ermöglicht, ab 2018 eine Doppelspitze zu wählen. Wird es diese Doppelspitze geben?

Davon bin ich überzeugt.

Aus der Linksfraktion hatte intern und unter der Hand nur ein Abgeordneter seine Ablehnung der geplanten, nun aber abgesagten Kreisgebietsreform angekündigt. An der Linksfraktion ist die Reform offenbar nicht gescheitert. Woran ist sie gescheitert?

An vielen kleinen Dingen, die zusammengenommen zu viele wurden. Handwerk, auch zum Teil Arroganz und wenig Sensibilität, aber vor allem auch daran, dass Populismus, insbesondere von Seiten der hiesigen CDU, die Menschen verunsicherte. Und zur Wahrheit gehört auch, dass sich in Brandenburg trotzdem nicht alles einzig und allein um die Kreisreform drehte. Den Menschen brennen ganz andere Fragen, andere Sorgen, auf den Nägeln - bezahlbares Wohnen, flächendeckender Nahverkehr, die Arztpraxen vor Ort und so weiter. Für diese Themen hat sich die LINKE immer engagiert und das wird auch weiter im Fokus bleiben. Der Landesvorstand hat sich dazu auf seiner letzten Klausur nochmals deutlich positioniert und ein Konzept beschlossen, das wir nun gemeinsam mit der Landtagsfraktion und der Regierungsmannschaft umsetzen.

Die Brandenburger wünschen keine Kreisreform. Sie scheinen generell Angst vor Veränderungen zu haben. Wie will eine Partei wie die LINKE, die den Fortschritt will, Fortschritte ohne spürbare Veränderungen erreichen?

In dieser schnelllebigen Zeit rufen Veränderungen und erst Recht Reformen inzwischen immer öfter Verunsicherung und Verlustängste hervor. Dem kann man nur begegnen, wenn man mit den Menschen darüber redet, was erreicht werden soll, und man muss sagen, was sich konkret für sie und ihre Familien daraus ergibt. Das wurde bei unserer geplanten Kreisreform vernachlässigt und so konnten allerlei aberwitzige Schauermärchen, wie zum Beispiel, dass die Krankenhäuser geschlossen werden würden, ins Kraut schießen. Trotzdem waren und sind sich alle, vom Landtag bis hin zu den Kommunalverbänden, einig, dass es Veränderungen geben muss. Und diese stehen nach wie vor auf der Tagesordnung. Ich denke dabei an die Notwendigkeit der Entschuldung der Gemeinden, die Fortführung der Kulturförderung, die Verstärkung der Kooperation von Städten und Landkreisen, das Schnüren von kommunalen Demokratiepaketen, die mehr Teilhabe vor Ort ermöglichen, und so weiter. Daran arbeiten wir.

Auch für eine Bildungsreform (Stichwort: Gemeinschaftsschule) können sich die Brandenburger anscheinend nicht erwärmen. Muss das Projekt Gemeinschaftsschule deshalb auch zu den Akten gelegt werden?

Wir werden den Weg der Gemeinschaftsschule fortsetzen. Auch hier gab es Vorbehalte. Aber inzwischen verfängt unsere Idee vom längeren gemeinsamen Lernen. Dass diese Veränderung in der Bildungslandschaft längst nicht mehr nur abgelehnt wird, merke ich als Finanzminister hautnah: Inzwischen gibt es einen regelrechten Run auf die Fördermittel für Investitionen in die Gemeinschaftsschule, Schulzentren entstehen, mehr und mehr Eltern mit ihren Kindern und auch die Schulträger empfinden die Gemeinschaftsschule als Bereicherung. Vielleicht ist die Ursache für diese Veränderung im Denken tatsächlich darin zu suchen, dass es keine Pflicht ist, eine Gemeinschaftsschule einzurichten, sondern ein Angebot, das man annehmen kann. Nun, das sind alles Themen, die nicht von heute auf morgen wirken, die aber weiterhin ganz oben auf unserem Tisch liegen.

Tut es Ihnen leid um das viele Geld, das für Veranstaltungen und Gutachten zur Vorbereitung der Kreisgebietsreform ausgegeben wurde, die nun aber ausfällt?

Ich bin froh darüber, dass diese Foren stattfanden. Immerhin haben sie ein gründliches Nachdenken über die zukünftige Verwaltung im Land in Gang gebracht. Das müssen und können wir weiterhin nutzen. Sie waren zum Teil auch ein Lehrstück für Meinungsstreit, wie man ihn in Zukunft nicht weiterführen sollte: es geht nichts voran, wenn man Debatten benutzt, um den anderen Partner zu besiegen. Veränderungen können nur gelingen, wenn der Weg von vielen getragen wird. Das gilt übrigens nicht nur für Kreisgebietsreformen, das gilt für jede gesellschaftliche Debatte, auch zum Beispiel für Debatten in unserer Partei Die LINKE.

Rund 400 Millionen Euro waren eingeplant für die Kreisgebiets- und Verwaltungsstrukturreform. Was soll nun mit diesen Mitteln geschehen?

Wir wollen die Mittel einsetzen, um damit schnell weitere Investitionen zu ermöglichen, insbesondere in den öffentlichen Nahverkehr, in die Schulinfrastruktur und den Ausbau der Breitbandabdeckung im Land. Dazu legen wir in Kürze einen Nachtragshaushalt vor. Wir wollen einen Teil des Geldes allerdings auch dafür verwenden, dass insbesondere Cottbus, Frankfurt (Oder) und Brandenburg/Havel von ihren immensen Kassenkrediten runterkommen und Hilfe zur Selbsthilfe geben, damit die großen Städte Brandenburgs künftig mit den Landkreisen in ihrem Umfeld kooperieren können.

Die Reform hätte bis 2019 und auch danach noch viel Arbeit gemacht. Das fällt jetzt alles weg. Wird es nun langweilig? Was nimmt sich die rot-rote Koalition vor für die kommenden zwei Jahre bis zur Landtagswahl?

Wer denkt, dass wir zu wenig Arbeit haben, der irrt. Kita, Bildung, Pflege, die Lausitz nach der Kohle und, und, und. Wir arbeiten an einer Zukunft Brandenburgs, die sozial gerecht und demokratisch ist. An einem Brandenburg, in dem es sich zu leben lohnt, das weltoffen ist, in dem es Perspektiven gibt. Wir haben also - ob mit oder ohne Reform - alle Hände voll zu tun. Langeweile kommt nicht auf. Aber was aufkommt, ist die Freude daran, Dinge anzupacken und zu verändern.

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