Alt wie ein Baum, tief verwurzelt

Senioren möchten in eigenen vier Wänden leben / Altersgerechte Stadtquartiere gefragt

In Brandenstein mangelt es an barrierearmen Wohnungen. Die Menschen leben dort relativ isoliert in ihren Eigenheimen. Wie viele Senioren und wie viele Pflegebedürftige es in diesem Dorf gibt? Die Gemeinde weiß es nicht genau. Das ist statistisch nicht erfasst. Alten Menschen, die Hilfe benötigen, bleibt fast nichts anderes übrig, als ins Pflegeheim in die nächstgelegene Stadt umzuziehen.

In Brandenburg gibt es zwar gar kein Brandenstein, nur eins in Thüringen. Doch die geschilderten Probleme, die gibt es in vielen Städten und Gemeinden. Darum hat die brandenburgische Fachstelle Altern und Pflege im Quartier (FAPIQ) ein fiktives, hiesiges Brandenstein skizziert, um zu erklären, wozu Netzwerke nützlich sein können, wenn es darum geht, altersgerechte Quartiere zu entwickeln. Jeder hat demnach seine eigenen Interessen. Alle zusammen können dabei aber mehr erreichen. Die Wohnungseigentümer, die ihre Immobilie besser nutzen möchten, die Bürgermeisterin, die Bewohner im Dorf halten möchte, und Vereine, die Mitglieder brauchen.

Im Land Brandenburg leben im Moment rund 540 000 Menschen, die älter als 65 Jahre sind. Das sind 22 Prozent der Bevölkerung. Bis zum Jahr 2040 wird die Zahl der über 65-Jährigen auf mehr als 802 000 steigen. Sie werden dann 37 Prozent der Bevölkerung stellen. Über 90 Prozent der Senioren möchten auch noch in den eigenen vier Wänden leben, wenn sie der Pflege bedürfen.

»Schon mit kleinen Maßnahmen können Orte so gestaltet werden, dass ältere Menschen länger in ihrem vertrauten Wohnumfeld leben können«, erklärt Sozialministerin Diana Golze (LINKE). Die Fachstelle FAPIQ hat eine 60 Seiten umfassende Broschüre herausgebracht, die Tipps enthält, was getan werden kann und welche Möglichkeiten der Finanzierung bestehen.

»Die neue Broschüre ist eine Einladung an alle Kommunen, Vereine, Unternehmen und interessierte Bürgerinnen und Bürger, sich mit altersgerechter Quartiersentwicklung als Antwort auf den demografischen Wandel intensiver zu beschäftigen«, sagt Ministerin Golze. Denn es gelte, Stadtteile den besonderen Bedürfnisse von immer mehr Senioren anzupassen.

Das Thema altersgerechtes Wohnen erschöpft sich keineswegs in der Frage, ob in die Häuser Fahrstühle oder Treppenlifte eingebaut sind. Hilfreich sind verkehrsberuhigte Bereiche, möglichst Fußgängerzonen, ein Platz oder eine Grünanlage mit Bänken zum Ausruhen. Es müssen Geschäfte in der Nähe sein. Die Rentnerin muss mit ihrem Rollator sicher über die Straße kommen und ohne Probleme, also ohne hohe Stufen, zum Bäcker hinein. Wenn schon keine Arztpraxis fußläufig erreichbar ist, so muss wenigstens ein Bus dorthin fahren - ein Bus, der auch Rollstuhlfahrer mitnehmen kann. Und alles muss bezahlbar sein: die barrierefreie Wohnung, der öffentliche Personennahverkehr.

Die genannten Beispiele zeigen, dass von einer Stadtentwicklung, die an die Senioren denkt, nicht nur die Alten profitieren. Eine Grünanlage mit Parkbank gefällt jüngeren Menschen genauso. Die Gegend ist dann einfach schöner. Über abgesenkte Bordsteinkanten und geräumige Busse freut sich nicht nur die Rentnerin mit Rollator, sondern auch die junge Mutter mit Kinderwagen.

Gute Nachbarschaft ist ein wichtiges Element, wo Kinder und Enkel oft hunderte Kilometer entfernt leben. Aber während Senioren mal auf die Kinder der Nachbarin aufpassen, kann die junge Mutter vielleicht bei ihren Einkäufen Besorgungen in der Stadt für die Seniorin nebenan mit erledigen. Gemeinschaftsgefühl und Gemeinschaftssinn sind gefragt. Quartiersmanagerinnen wie Jenny Friede in Frankfurt (Oder) motivieren, vermitteln, sammeln Ideen und warten mit eigenen Vorschlägen auf.

Auch das liefert die Broschüre: Ein paar positive Beispiele wie den Wochenmarkt, der in Podelzig auf die Beine gestellt wurde, damit die Einwohner einkaufen können und dabei ein Schwätzchen machen, oder die Werkelecke in Lieberose, in der sich die Männer, die sich für die etablierten Bastel- und Malkurse nicht interessieren, handwerklich beschäftigen und miteinander plaudern können. Hier werden aus dem fiktiven Brandenstein reale Orte des Bundeslandes, mit echten, zur Nachahmung empfohlenen Projekten. Doch eins zu eins lasse sich das alles nicht kopieren, heißt es. Denn die Traditionen und Rahmenbedingungen seien von Ort zu Ort sehr unterschiedlich, »und was in Ort A funktioniert hat, muss von den Bürgerinnen und Bürgern in Dorf B noch lange nicht als Lösung der lokalen Probleme betrachtet werden«.

fapiq-brandenburg.de

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