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- Armut in Deutschland
Jesus Christus ist kein Vorbild für Politik
Florian Haenes plädiert gegen Barmherzigkeit als politisches Leitmotiv - und für den Streit für soziale Rechte
Alle Jahre wieder erreicht uns die Nachricht, die Armut sei abermals schlimmer geworden. Diesmal in der Tafel-Variante, nach der doppelt so viele Rentner der Nahrungsmittelspenden bedürfen wie noch vor zehn Jahren. Hinter dieser Nachricht, treffsicher drei Tage vor Weihnachten platziert, steckt ein unmissverständlicher, doch leider sehr unüberlegter Appell an die Bundesregierung. Liebe Frau Merkel, schneid dir eine Scheibe ab von Jesus, sei gütig zu deinen Schäfchen.
Dies ist eine unpolitische Forderung, sie ist gefährlich und im Kern antidemokratisch. Ein Staat, der vorgibt, aus Güte zu handeln, ist in Wahrheit ein autoritärer Staat. Nichts garantiert, dass er nicht im nächsten Moment schon zur gierigen Kleptokratie mutiert. Wer einen Staat allen Ernstes um Güte bittet, denkt noch immer wie ein Untertan von Louis XIV. Wer hingegen etwas Zeitgemäßes gegen Armut unternehmen will, muss für Rechte streiten. Hartz-IV-Sätze muss man erhöhen. Vielleicht auch ein Grundeinkommen einführen. Jedenfalls braucht es einklagbare Rechtsansprüche. Nur so können sich Bürger aus Armut befreien.
Wer möchte, soll die Armen an Heiligabend trotzdem gerne zu sich nach Hause einladen und den biblischen Laib Brot mit ihnen teilen. Es würde ein unvergessliches Weihnachtsfest. Es wäre ein Zeichen der Liebe inmitten sozialer Kälte. Doch sollte man gütige Taten wie diese auf keinen Fall mit Politik verwechseln.
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