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Pop-Rückblick 2025: Ein Jahr unter Beobachtung
Nadia Shehadeh wagt einen Blick auf das aktuelle Jahr, das langsam zu Ende geht
Ob ein Jahr gut oder schlecht war, mag man seit ein paar Jahren gar nicht mehr bewerten. Aber was man über 2025 auf jeden Fall sagen kann: Es war extrem aufschlussreich. Politisch mal wieder ein Jahr des Backlashs, kulturell eines der Überreizung, popkulturell ein Dauertest für Aufmerksamkeit, Ironie und Restwürde. Pop musste dieses Jahr viel leisten: trösten, ablenken, erklären, manchmal einfach nur stillhalten. Hier also die Preise für ein Jahr, das sich ständig selbst gefilmt hat.
Bestes Album: Rosalía – »Lux«
Rosalía hat 2025 ein Album gemacht, das sich konsequent weigerte, ein Meme zu sein. Während Pop sonst auf maximale Anschlussfähigkeit setzte, bestand »Lux« auf Konzentration – und schaffte einen Hype, der sich gewaschen hat. In einem Jahr, in dem Autoritarismus wieder auf Vereinfachung setzte, war das fast schon politisch.
Merkwürdigstes Buch: Olivia Nuzzi – »American Canto«
Ausgangspunkt dieses Kauderwesch-Buches sind die Jahre der Washington-Reporterin Nuzzi. Und es ist genauso nervös und überambitioniert wie das politische Jahr selbst. Nuzzi hat das Buch laut Selbstaussage auf ihrem Handy geschrieben – und so liest es sich auch. Kritiken nannten es »unfertig« und »gekloppt« – was sich im Rückblick aber fast schon nach einem Qualitätsmerkmal anhört?
Bestes Meme:
Es ist der Sound des Winters 2025: »Turn the Lights on« von Kato und dazu Jon Hamm, wie er in blaues Licht getaucht in einem Club tanzt. Videos liefern tausend Variationen davon, wie man sich mit der Intersektion von Hoffnung und kompletter Erschöpfung wegdissoziiert. Ein Meme als Stimmungsbarometer.
Bestes Popkultur-Weltereignis: Der TikTok-Verkauf, der nie kam
Monatelang Ankündigungen, Fristen, politische Drohkulissen – und am Ende kam: nichts. Geopolitik als Endlos-Teaser. Plattformkapitalismus als neues Weltsystem, in dem selbst Staaten nur noch reagieren.
Bestes Konzert: »Kite on Ice«
Die schwedische Synth-Pop-Band Kite (Nicklas Stenemo & Christian Berg) verwandelte im Februar 2025 die Avicii Arena in Stockholm in eine filigrane, visuell aufgeladene Pop-Performance auf Eis. Groß gedacht, aber dennoch nicht aufgebläht. Die Mischung aus elektronischer Musik, Lichtdesign, Eiskunstlauf und Performance-Kunst lieferte ein Spektakel, das weit über gewöhnliche Konzertästhetik hinausging. International längst ernst genommen, liefert Kite genau das, was dem hiesigen Pop oft fehlt: Haltung ohne Pathos, Intelligenz ohne Belehrung. Es wird Zeit, sie hier größer zu denken.
Beste Serie: »Weihnachten zuhause« (Staffel 3)
Eskapismus pur. Und trotzdem eins der aufschlussreichsten Seriencomebacks des Jahres. Die norwegische Serie, die kurz vor und dann während der Corona-Pandemie Kultstatus erreicht, zeigt dieses Jahr, wie stark das Bedürfnis nach Rückzug, Ritual und Überschaubarkeit geworden ist. Auf dem Sofa liegen und Krankenschwester Johanne dabei zusehen, wie sie durch das moderne Dating-Leben stolpert: das Beste gegen Kollektivermüdung.
Bester Film: »Train Dreams«
Ich habe den Film nicht gesehen, ich habe das Buch nicht gelesen, aber man wird seit Wochen mit positiven Kritiken überschüttet. Das reicht 2025 fast schon als Rezeptionsform? Es geht anscheinend um leise Männlichkeit, Wälder, Arbeit, Verlust, Zeit. Schlimmstenfalls der perfekte Film für den schönen Sekundenschlaf auf dem Sofa während der Feiertage – das nehme ich hin.
Bestes Comeback: Lily Allen
Ein Album über Müdigkeit, Wut und eine fiese Scheidung. Wenn man sich in das ganze Sujet einliest (Lily Allen schrieb »West End Girl« nach Jahren der Popabwesenheit parallel zu ihrer Theaterarbeit und einer schmutzig-öffentlichen Trennung), ist das Ganze fast ein Hörbuch. Ein Beharren darauf, einfach da zu sein. Und schön. Songs wie »Pussy Palace« werden es wahrscheinlich nie ins Radio schaffen – aber dennoch Klassiker werden.
Interessanteste Doku: »Babo – Die Haftbefehl-Story«
Diese Doku war 2025 weit mehr als ein Musikerporträt: Erzählt wurde eine Geschichte über Herkunft, Aufstieg, Selbstzerstörung und Überleben – und damit von einer deutschen Gegenwart, die im politischen Backlash gern verdrängt wird. Der durch die Doku ausgelöste zeitgleiche Hype um Reinhard Meys »In meinem Garten« war fast schon absurd, aber logisch: ein Sound, der Privatheit und Würde thematisiert. Also fast schon das Gegenteil von Rapper-Homestories.
Beliebtester Food-Trend: Bohnen
Natürlich waren Bohnen in den sozialen Medien einer der beliebtesten Food-Trends 2025. Günstig, proteinreich, pflanzenbasiert. Von Leuten, die sich morgens eine ganze Dose Bohnen pur in die Futterluke kippten oder »Bohnensalate« vorbereitete: Bohnen-Mealprep funktionierte hier als Selbstberuhigung in einer Welt, die politisch ständig drohte zu kippen.
Beste*r Schauspieler*in:
Claire Danes in »The Beast in Me«. Vielleicht hat sie auch nicht am allerbesten geschauspielert, und ich war einfach mal froh, ein Gesicht mit Furchen auf dem TV-Display zu sehen. Gelohnt hat sich ihre Performance aber auf jeden Fall.
Beliebteste Getränke: Spassgetränke
Ja, alle haben safe gedacht, jetzt kommt Matcha, aber nein: Im Getränkesegment blieb es divers. Alles konnte ein Spaßgetränk sein – nix war verboten. Ein erfrischender Gegenmoment in einer sonst beschissenen Welt.
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