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Wenn Zuhören Linderung verschafft

Seit 30 Jahren gibt es die Telefonseelsorge Berlin-Brandenburg und mit ihr Ansprechpartner, die rund um die Uhr erreichbar sind.

  • Christina Palitzsch
  • Lesedauer: 3 Min.

Denken Sie nicht, hier stünde immer soviel Essen herum«, sagt Geschäftsleiter Uwe Müller freudig und schaut auf einen üppig beladenen Tisch mit Schokolade, Mandarinen und belegten Broten. Er hat die Telefonseelsorge Berlin-Brandenburg 1988, zu DDR-Zeiten, mitgegründet. Auch heute noch gibt Müller wichtige Impulse. Das Kinder- und Jugendtelefon, das russischsprachige Angebot Doweria oder die muslimische Seelsorge gehen auf ihn zurück.

»Von jedem Telefon oder Handy erreicht man uns unter der 1110111. Sofort wird man mit einer freien Stelle verbunden«, sagt er. 2016 habe die Telefonsorge 26 500 Anrufe verzeichnet. Die aktuellen Zahlen sind noch nicht raus. »Die Leitungen sind immer ausgelastet«, sagt Müller.

Kati ist Psychologin und arbeitet seit vielen Jahren dreimal im Monat ehrenamtlich bei der Telefonseelsorge: »Wir hören immer erstmal zu und bieten bewusst nicht ungefragt Tipps und Lösungen an, so wie das manchmal in einer Freundschaft ist.« Die langjährigen Seelsorgerinnen Kati, Ulrike und Karin haben mittlerweile am Küchentisch Platz genommen.

Ihre Nachnamen möchten sie nicht in der Zeitung lesen. In ihrer einjährigen Ausbildung haben sie verschiedene Themen behandelt: Tod, schwere Krankheiten, Liebe und Sexualität. Aber es ist die Einsamkeit, die immer größer wird, darin sind die Drei sich einig. Diese Wahrnehmung wird von jüngsten Studien gestützt.

Die amerikanische Psychologieprofessorin Julianne Holt-Lunstad erwartet gar eine »Einsamkeits-Epidemie«. Sie wertete 148 Studien mit mehr als 300 000 Teilnehmern aus. Gerade bei Jüngeren werde die Einsamkeit durch die virtuelle Isolation verstärkt, stellte eine weitere Studie vom Pittsburgher Forschungszentrum Medien, Technologie und Gesundheit fest. Wer viel im Netz surft, kommuniziert nur eingeschränkt und verlernt es, sich selbst als reale Person wahrzunehmen. Daraus können Depressionen und andere psychische Erkrankungen folgen.

Kati berichtet, dass der Dienst nachmittags und abends am wichtigsten ist. »Ab vier Uhr nachmittags fallen viele zu Hause in ein schwarzes Loch. Dann sind wir da.« Bei ihr riefen viele Menschen an, die lange auf therapeutische Versorgung warten müssen. Die Arbeitszimmer haben immer zwei Telefone: eines für den Anrufer und das andere, um im Notfall die Feuerwehr alarmieren zu können. »Wenn es um Suizidgedanken geht«, sagt Kati, »haben viele ja noch einen kleinen Strohhalm, wenn sie bei uns anrufen, und den versuchen wir im Einverständnis auch zu ergreifen.«

Auf viele seelsorgerische Themen wurden sie vorbereitet. Doch jede hat auch ein Gespräch geführt, das noch lange im Ohr nachhallt. Ulrike hatte vor 15 Jahren einen jungen Mann in der Leitung, der sein kleines Kind mit sich in den Tod nehmen wollte. Das Gespräch blieb kurz, sie hörte nie wieder von ihm. »Ich gucke manchmal in die Zeitung, ob da was steht. Ich weiß aber gar nicht, von wo er angerufen hat.« In vielen Gesprächen lernte sie, dass sie ihren Zweifeln zum Trotz viel für ihn getan hat. Denn Seelsorge bietet nicht schnelle Lösungen oder die zielorientierte Beratung, sondern stellt sich einfach neben einen Menschen. Es hört mal jemand zu, hält das Leid und die Not gemeinsam aus, trägt sie ein Stück weit mit, verschafft Linderung. Allein das ist oft schon tröstlich.

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