In Europa angekommen

Von einer Ächtung der österreichischen Rechtsregierung ist rundum nichts zu bemerken

  • Hannes Hofbauer, Wien
  • Lesedauer: 3 Min.

Nur wenige Stunden nach seiner Angelobung machte der mit 31 Jahren jüngste Regierungschef Europas den führenden Figuren der Europäischen Union am vergangenen Dienstag seine Aufwartung. Jean-Claude Juncker ersparte ihm diesmal das peinliche Küssen, nachdem ihm Kurz zuletzt bei einem Außenministerrat geschickt ausgewichen war und Junckers Lippen ins Leere trafen. Bei der abschließenden Pressekonferenz stellte der Präsident der EU-Kommission fest, dass man die neue Koalition in Wien an ihren Taten messen werde und fügte wohlwollend hinzu: »Das Gespräch mit dem Kanzler war schlüssig in der Sache und freundschaftlich in der Tonalität«. 17 Jahre zuvor war die damalige ÖVP-FPÖ-Regierung noch mit EU-Sanktionen bestraft worden, die allerdings nach neun Monaten wieder aufgehoben wurden.

Diesmal vermittelten Kurz und Juncker das Bild alter Freunde, einzig an der neuen Außenministerin Karin Kneissl übte Brüssels mächtigster Politiker Kritik. Diese bezog sich allerdings nicht auf den Inhalt, sondern die Form. Kneissl hatte Juncker in einem journalistischen Beitrag vor zwei Jahren einen »Zyniker der Macht« genannt und ihn als »rüpelhaft« sowie »arrogant« beschrieben. Das wollte der eitle Luxemburger nicht auf sich sitzen lassen und nützte die Gelegenheit, seine Arroganz erneut unter Beweis zu stellen.

Kurz’ Kotau in Brüssel erfolgte noch vor der ersten Parlamentssitzung in Wien, die die neue Regierung anschließend bestätigte. Diese Symbolik ist für das demokratische Grundverständnis der Republik verheerend, bedeutet sie doch, dass die Zustimmung aus Brüssel wichtiger ist als die der gewählten VolksvertreterInnen. Wenn man sich allerdings in Erinnerung ruft, dass auch die Bestellung der EU-Kommission durch den dafür nicht gewählten EU-Rat (neben der Bestätigung durch das EU-Parlament) demokratiepolitisch zweifelhaft ist, dann fügt sich der Zeitpunkt der Kanzlerreise ins demokratische Defizit der EU bestens ein. Das Programm der neuen Rechtsregierung war in Brüssel kein Thema. Die Einschnitte ins Sozialsystem mit der geplanten Aushöhlung der Arbeitslosigkeit führen in Richtung einer österreichischen Variante von Hartz IV, was international niemanden stört. Und in der Migrationspolitik hat sich der repressive Kurs von Sebastian Kurz in der EU längst niedergeschlagen, was auch im freundschaftlichen Handschlag zwischen Kurz und Ratspräsident Donald Tusk zum Ausdruck kam. Tatsächlich braucht sich auch die Brüsseler Bürokratie vor der FPÖ nicht zu fürchten. Mit ihrem nun zum Ausdruck gebrachten Europa-Bekenntnis kehren die Rechten zu ihren liberalen Wurzeln zurück. Die FPÖ war die erste österreichische Partei, die Anfang der 1990er Jahre eine Mitgliedschaft in der damaligen EG gefordert hatte, als in der ÖVP die Bauern, in der SPÖ die Gewerkschaft und bei den Grünen die gesamte Riege noch heftig dagegen argumentierten. Nationale und liberale Positionen widersprechen sich seit 1848 nicht; sie gingen in der FPÖ immer Hand in Hand, wobei in gewissen Perioden das Nationale und dann wieder das Liberale im Vordergrund stehen.

Der neue Pro-EU-Kurs der FPÖ überzeugt nicht nur Brüssel, sondern auch den österreichischen Bundespräsidenten Alexander van der Bellen. Anlässlich der Vereidigung der neuen Regierung lobte der frühere grüne Klubobmann die Konsultationsgespräche im Vorfeld als »konstruktiv, kooperativ und lösungsorientiert«. Damit waren ausdrücklich die beiden Parteichefs Sebastian Kurz (ÖVP) und Heinz-Christian Strache (FPÖ) gemeint. Von vorhandenen rechtsradikalen Elementen im Personal war keine Rede.

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