Polens Justiz erleidet eine Machtverschiebung

Bislang unbeeindruckt von der EU treiben Kaczynski und seine Regierung ihre umstrittenen Reformen voran

  • Wojciech Osinski, Warschau
  • Lesedauer: 4 Min.

Alles andere als besinnlich ist die vorweihnachtliche Zeit im politischen Warschau. Vor drei Tagen leitete die EU wegen der umstrittenen Justizreform ein beispielloses Verfahren gegen Polen ein. Dessen Staatschef Andrzej Duda ließ sich davon nicht beeindrucken und kündigte bereits einige Stunden später an, dass er die kontrovers diskutierten Novellen diesmal zweifelsfrei unterzeichnen werde.

Die am Donnerstag endgültig abgesegneten Gesetze erwirken die Auflösung und Neubesetzung des Landesrichterrats (KRS) sowie des Obersten Gerichts (SN), das u.a. Rechtmäßigkeiten von Wahlen untersucht. Einstweilen wehrt sich Duda gegen die Kritik von Experten, seine Änderungen würden nach wie vor eine Gefahr für die Unabhängigkeit der Justiz darstellen. Die Gesetze würden sich von den im Juli per Veto abgelehnten Projekten unterscheiden und dienten in der gegenwärtigen Form vor allem der »Demokratisierung des Landes«, so das Staatsoberhaupt.

Auch der neue Ministerpräsident Mateusz Morawiecki ging rasch in Abwehrstellung. Die nationalkonservative Regierung sei »gesprächsbereit«, jedoch sei die Justizreform in der Sache selbst »absolut gerechtfertigt«, betonte er. »Nach der Wiedervereinigung wurde in der BRD eine knallharte Lustration durchgeführt, die zahlreiche Karrieren von Stasi-Richtern beendet hatte. Bei uns hat so etwas nie stattgefunden, viele zweifelhafte Juristen sind immer noch im Amt«, unterstrich Morawiecki.

Unterdessen sehen führende Rechtswissenschaftler wie Adam Strzembosz in den Korrekturvorschlägen allenfalls eine Machtverschiebung vom Justizministerium auf den Präsidentenpalast. »Die Gesetze sind immer noch verfassungswidrig, die Änderungen lediglich ein Feigenblatt«, glaubt der 87-jährige. An der Kritik fachkundiger Experten wird sich Jaroslaw Kaczynski jedoch ebenso wenig stören, wie an den Protesten vor dem Amtssitz seines politischen Sprösslings.

»Sogar in den Umfragen regierungskritischer Zeitungen wollen 80 Prozent meiner Landsleute eine Reform der polnischen Gerichtsbarkeit. Vor dem Präsidentenpalast stehen jene unzufriedene 20 Prozent und das ist auch ihr gutes Recht. Aber es ist gewiss nicht die überwältigende Mehrheit«, versicherte der Chef der Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS).

Der polnische Rechtsstaat wird die kritischen Gutachten allerdings kaum mehr überprüfen können. Das für derart pikante Angelegenheiten zuständige Verfassungsgericht (TK) war eine der ersten Kontrollinstanzen, die sich die Nationalkonservativen unter den Nagel gerissen haben. Seit dieser Zeit bestand eigentlich kein Zweifel mehr daran, dass die EU-Kommission alsbald ein Verfahren nach Artikel 7 des EU-Vertrags einleiten wird.

Dies könnte als Präzedenzfall ein Weckruf für andere EU-Staaten sein. In Rumänien arbeitet die Regierung derzeit an einer Demontage der Justiz, was ebenfalls viele Fragen aufwirft. Deshalb werden in Brüssel nicht erst seit heute Forderungen laut, die Auszahlungen von EU-Geldern künftig von der Rechtsstaatlichkeit der einzelnen Mitgliedsstaaten abhängig zu machen.

Harsche Töne aus Brüssel werden Kaczynskis Winterschlaf nicht unterbrechen - auch weil er sich nicht vollends vereinsamt fühlt. Ungarn hat die Entscheidung der EU-Kommission für die Einleitung des Strafverfahrens gegen Polen scharf kritisiert und bereits ein Veto im EU-Rat angekündigt. Es sei »beispiellos und inakzeptabel«, eine demokratisch gewählte Regierung »willkürlich« zu bestrafen, erklärte Ungarns Vizepremier Zsolt Semjén der Nachrichtenagentur MTI.

Der frühere polnische Ministerpräsident Leszek Miller drückte jedoch vor einigen Tagen auf die Euphoriebremse. »Kaczynski sollte sich nicht in Sicherheit wähnen. Viktor Orbán kann sehr egoistisch sein, wenn es um seine eigenen Interessen geht. Er wird sich noch wundern«, versprach der linke Politiker. In der Tat hatte Ungarns Premier einstmals viele PiS-Anhänger vor den Kopf gestoßen, sei es mit seiner russlandfreundlichen Wirtschaftspolitik oder der Unterstützung Donald Tusks bei dessen Wiederwahl zum EU-Ratspräsidenten.

Eine etwaige Kürzung der EU-Mittel aber würde nicht nur den kühnen Investitionsplan der Morawiecki-Regierung gefährden, sondern auch die vollständige Isolation Warschaus in der EU besiegeln. »Ich kann einfach nicht begreifen, weshalb die politische Führung in Warschau unsere mühselige Arbeit zunichte macht«, monierte Tusk in Brüssel. Kurz zuvor hatte der polnische Ex-Premier das Programm zur Umverteilung von Flüchtlingen für gescheitert erklärt und ist der PiS-Regierung damit eigentlich entgegengekommen.

»Wir betrachten uns nicht als Untergebene von Tusk und werden unser Land weiter reformieren«, bekräftigt Marek Suski, den Morawiecki kürzlich zu seinem Berater beförderte. Der PiS-Politker kommt aus dem Umfeld Kaczynskis und soll künftig für einen problemlosen Informationsaustausch mit der Parteizentrale sorgen.

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