Glück auf und vorbei

Im kommenden Jahr schließen in Nordrhein-Westfalen Deutschlands letzte Steinkohlenzechen

  • Rolf Schraa, Essen
  • Lesedauer: 4 Min.
Bottrop und Ibbenbüren in Nordrhein-Westfalen sind die letzten Standorte aktiver Steinkohlenzechen in Deutschland. Doch Ende 2018 wird auch dort die Förderung eingestellt. Eine stolze und traditionsreiche Industriebranche verschwindet damit. Die offizielle letzte Schicht ist am 21. Dezember 2018 in Bottrop geplant.

Es ist ein Ausstieg mit langer Vorbereitung und ohne Entlassungen oder soziale Härten, aber dennoch keine Kleinigkeit. »Der Abschied tut sehr weh - trotz des langen Vorlaufs«, sagt der Chef des Zechenbetreibers RAG, Bernd Tönjes.

Von den knapp 5000 Bergleuten, die aktuell übrig sind, gehen die meisten in den Vorruhestand. Einige Hundert werden in neue Jobs vermittelt. In den 1950er Jahren hatten noch mehr als 600 000 Menschen Arbeit in der Branche. Der Saar-Bergbau war bereits Mitte 2012 gestoppt worden.

Das mühsame Fördern aus mehr als 1000 Metern Tiefe unter hohen Sicherheitsstandards in den deutschen Bergwerken hatte sich schon seit vielen Jahren nicht mehr gelohnt. In etwa Australien kann die Konkurrenz etwa 30 Meter dicke Flöze teils mit dem Schaufelradbagger im Tagebau gewinnen. Gut eine Milliarde Euro Kohlesubventionen pro Jahr fielen zuletzt an, um die Preisdifferenz zum Weltmarkt auszugleichen. Auch im Ausstiegsjahr 2018 kann die Branche immerhin noch mehr als 900 Millionen öffentliches Geld in Anspruch nehmen. Hinzu kommen die Milliardenzuschüsse für die Vorruhestandsregelungen der Bergleute, die nach 25 Jahren unter Tage mit 50 gehen dürfen.

2007 hatte der Bundestag einen Fahrplan für den Ausstieg aus der defizitären Steinkohle bis Ende 2018 festgeschrieben. Die zunächst noch vorgesehene letzte Überprüfung des Beschlusses wurde 2011 gestrichen.

Bergbau-Kritiker warnen vor Verklärung: »Die Steinkohleverstromung hat ganze Landstriche verrußt, das Klima massiv geschädigt und ist über viele Jahre teuer subventioniert worden«, sagt etwa die NRW-Grünen-Landtagsabgeordnete Wibke Brems. Und auch mit deutlich weniger aktivem Bergbau rumpelt in dem Abbauregionen weiter kräftig die Erde: Rund 22 000 Bergschadensmeldungen - etwa Risse in Hausfassaden - bearbeitet und reguliert der Zechenbetreiber RAG pro Jahr.

Mit dem Aus für die letzten Zechen wird die Arbeit unter Tage noch lange nicht vorbei sein: Tief unter dem Ruhrgebiet und in oberflächennahen Senken, die durch den Abbau entstanden sind, muss dauerhaft Wasser in riesiger Menge abgepumpt werden, damit das Grundwasser geschützt wird und die Region nicht versinkt. Ohne regelmäßiges Pumpen läge etwa der Essener Hauptbahnhof zwölf Meter tief unter Wasser.

Die Kosten dafür - nach derzeitiger Schätzung rund 220 Millionen Euro jährlich - trägt die RAG-Stiftung aus Kapital- und Dividendenerträgen. Für die Bergschäden kommt die RAG aus ihren Rückstellungen auch in Zukunft auf. Eine neue Nutzung für die riesigen Zechengelände zu finden, bleibt eine Aufgabe für Jahrzehnte: Aktuell entwickelt eine RAG-Tochter rund 10 000 Hektar freier Bergwerksflächen in 100 Einzelprojekten. Der Bedarf an Gewerbegebieten ist groß im Ruhrgebiet. Teils gelang auch schon der Umbau zu Kulturzentren, Naherholungsgebieten oder stadtnahen Wohnvierteln. Für die betroffenen Mitarbeiter und die Bergbaustädte bedeutet das Kohle-Aus einen gravierenden Einschnitt. In Bottrop - einer Stadt mit rund 30 000 sozialversicherungspflichtigen Stellen - hängen laut einem Sprecher noch immer etwa 1500 Jobs direkt an der Kohle, viele weitere indirekt. Neue Groß-Arbeitgeber sind nicht in Sicht: »Natürlich wird das eine Herausforderung«, sagt der Sprecher.

Nach einer Übergangsphase bis 2021 will die RAG noch etwa 650 Menschen für die Wasserhaltung, Verwaltung und Immobilienentwicklung dauerhaft weiterbeschäftigen. Deutschlands weltweit renommierte Bergbaumaschinenindustrie hat sich längst neu orientiert: Sie erwirtschaftet bereits jetzt fast ihren kompletten Umsatz mit dem Export von Maschinen ins europäische Ausland und in energiehungrige Länder wie China.

Die traditionelle Kohlekultur an Ruhr und Saar mit Zechenvierteln, die fast ausschließlich von Bergleuten und ihren Familien bewohnt wurden, ist ohnehin schon lange Vergangenheit. Die letzten Bergleute wohnen weit verstreut und beginnen ihren Arbeitstag meist mit längeren Autofahrten, weil in den vergangenen Jahren immer mehr Zechen geschlossen wurden und damit die Arbeitsmöglichkeiten vor der Haustür wegfielen.

Bergmannskleidung, Lieferungen für den Kohlekeller, Lieder wie »Glück auf, der Steiger kommt« und das Drehen der Seilscheiben auf dem Fördergerüst hoch über der Stadt bei Tag und Nacht - all das ist aus dem Alltag schon jetzt weitgehend verschwunden. Die RAG-Stiftung, die die Ewigkeitslasten der Branche dauerhaft ohne Belastung der öffentlichen Hand abdecken soll, stellt Millionen etwa für Bergmannschöre, Orchester und bergbaunahe Kultureinrichtungen bereit, um die Erinnerung wachzuhalten.

Kernprojekt ist die Sanierung und Erweiterung des weltgrößten Bergbaumuseums in Bochum. Dort können Besucher sogar unter Tage fahren - dank eines »Seilfahrt-Simulators« fast wie in der Praxis. Allerdings geht es dort nicht 1000 sondern nur 20 Meter tief in ein »Anschauungs-Bergwerk«. dpa/nd

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