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Blödsinn mit Stempel

Wie offizielle Siegel auf Reichsbürger-Dokumente kamen

  • Sebastian Haak
  • Lesedauer: 8 Min.

Die Tür ist braun und sie führt in ein völlig weiß gestrichenes Amtszimmer. Was freilich nicht ungewöhnlich ist. Viele Türen in diesem Land sehen so aus, führen in Arbeits- oder Dienstzimmer, die genau so aussehen wie hier im kleinen Kühndorf, einem Ort im Landkreis Schmalkalden-Meiningen: etwa zweieinhalb Meter lang und zweieinhalb Meter breit. Darin ein Schreibtisch, wenige Stühle, ein Beistelltisch, ein Heizkörper.

Auch dass Menschen durch solche Türen treten und dann ein Anliegen an den deutschen Staat - oder präziser: an die, die ihn repräsentieren - formulieren, ist nicht ungewöhnlich. Manche wollen Gelbe Säcke für die Mülltrennung. Manche wollen ihr Grundsteuerschulden - noch immer - bar bezahlen. Manche wollen eine amtliche Bestätigung. Sie alle müssen durch die braune Tür, hinein in das weiß gestrichene Zimmer.

Weshalb Thomas König auch keinen Verdacht schöpft. Nicht an diesem Tag »in der dunklen Jahreszeit von 2016«, wie König das formuliert. Auch nicht in den folgenden Monaten. Der Mann, der ihn an diesem Tag vor etwa einem Jahr aufsucht ist nach Angaben Königs freundlich, ja höflich, trägt sein Anliegen sachlich vor. Er bittet darum, König möge eine Kopie eines Teil seines Stammbuchs siegeln und diesem Papierkonvolut ein Deckblatt voranheften.

König ist der ehrenamtliche Bürgermeister von Kühndorf. Wie die Tür, die in sein Dienstzimmer führt, wie seine Diensträume sieht er aus wie so viele andere ehrenamtliche Bürgermeister in Deutschland: Er trägt weder Anzug noch Krawatte, dafür die Alltagskleidung, die Menschen eben anhaben, wenn sie Jobs jenseits von Schreibtischen nachgehen. Er ist kräftig gebaut, 48 Jahre alt. Wie so viele ehrenamtliche Bürgermeister gehört König keiner Partei an, plant keine politische Karriere, sondern ist Gemeindechef, weil er etwas für seine Kommune und ihre Menschen tun will. Kurz bevor König nun - etwa ein Jahr nach dem Besuch des Mannes in der dunklen Jahreszeit 2016 - in Jeans und Pullover gekleidet durch die braune Tür in sein Amtszimmer tritt, hat er sich noch um den gemeindeeigenen Traktor gekümmert. Irgendwas war mit den neuen Reifen schief gegangen, die auf die Maschine müssen.

Und doch hat dieser so gewöhnliche Bürgermeister von seinem gewöhnlichen Dienstzimmer mit der gewöhnlichen Tür aus für ziemlich ungewöhnlichen Ärger gesorgt. Immerhin räumt König das offen ein. Er bereut. Tief.

Was den hauptamtlichen Bürgermeister von Bad Liebenstein, Michael Brodführer, allerdings wohl nur ein bisschen besänftigt. Dafür, was König getan habe, schimpft Brodführer am Telefon, »habe ich überhaupt kein Verständnis«. Dann setzt er noch nach: »Da mangelt es an Pflichtbewusstsein.« Dass Bad Liebenstein nicht im Landkreis Schmalkalden-Meiningen, sondern im Wartburgkreis liegt, lässt zumindest erahnen, welch weite Kreise das bisher schon gezogen hat, was König getan hat.

Heute weiß auch König, dass der höfliche Mann, der ihn in den dunklen Tagen des vergangenen Jahres besuchte, kein gewöhnlicher war. Der Mann war und ist ein Reichsbürger. Einer, der in Bad Liebenstein wohnt, wo es mehrerer Reichsbürger gibt. Einer also, der an der Existenz der Bundesrepublik Deutschland zweifelt, ihr Grundgesetz ablehnt. Einer von denen, die deutschen Behörden seit Jahren Ärger machen, weil sie die Ämter mit abstrusen Schreiben und Argumentationen überhäufen. Einer, von denen, die seit Ende 2016 in den Fokus der deutschen Sicherheitsbehörden gerückt sind, nachdem ein bis an die Zähne bewaffneter Reichsbürger in Franken einen Polizisten erschossen hatte, als die Beamten versuchten, ihm seine Waffen wegzunehmen.

Dass König Kontakt mit Reichsbürgern hatte, ist deshalb inzwischen eine Sache, die die Rechtsaufsicht des Landkreises Schmalkalden-Meinigen ebenso beschäftigt wie den Thüringer Verfassungsschutz und die Landespolizei. Eine Sprecherin des Inlandsnachrichtendienstes sagt, der Fall sei bekannt und werde im Amt bearbeitet. Weitergehende Auskünfte seien nicht möglich. Ein Sprecher des Landespolizeiinspektion in Suhl sagt, die Kriminalbeamten der Dienststelle führten deswegen ein Ermittlungsverfahren, auch wenn er weder bestätigen noch dementiere will, dass die Gemeinde Kühndorf und König dabei eine zentrale Rolle spielen. Der Vorwurf: Urkundenfälschung. Ein Sprecher des Landratsamtes Schmalkalden-Meiningen sagt, die Rechtsaufsicht habe wegen des Falls bereits mit König gesprochen. Dabei habe sich herausgestellt, dass König zwei Mal »Fantasiebescheinigungen« von Reichsbürgern mit Siegeln seiner Gemeinde versehen habe. Mit Fantasiebescheinigung meint der Sprecher die Deckblätter, die König siegelte.

Zwei Deckblätter? Es sind mehr. Das räumt König ohne lange Umschweife ein, nachdem er - die Eindrücke vom Ärger mit dem Traktor noch frisch im Kopf - durch die braune Tür in sein weißes Amtszimmer getreten ist und sich auf einen der Stühle hat fallen lassen.

Wie unangenehm ihm die Sache ist, zeigt sich nicht zuletzt, darin, dass ihm einmal die Tränen kommen, als er darüber spricht, wie sich die Dinge entwickelten, nachdem er das erste Deckblatt abgestempelt hat. Während er erzählt, lehnt er sich wieder nach vorne, stützt die Ellenbogen auf die Knie und vergräbt sein Gesicht in den Händen. Als er hört, welchen Ärger Reichsbürger anderen Repräsentanten des deutschen Staates schon gemacht haben - zum Beispiel mit irrsinnigen Geldforderungen, die sie über den Umweg über Malta eintreiben wollten -, da entfahren ihm vier Worte: »Ach Gott, ach Gott.«

Nach dem, was König sagt, hat er zwischen Ende 2016 und Mitte 2017 insgesamt acht, neun, vielleicht auch zehn Reichsbürgern Deckblätter gesiegelt; mit einem Stempel der Gemeinde Kühndorf. Der Vorgang sei jedes Mal gleich gewesen, sagt König. Jemand sei gekommen, durch die braune Tür in sein weißes Arbeitszimmer getreten - »Es waren auch Frauen darunter« - und habe ihn gebeten zu bestätigen, dass vorgelegte Kopien aus einem Familienstammbuch dem Original entsprächen. Zudem sei jedes Mal ein Deckblatt vorgelegt worden, mit der Bitte, dieses den beglaubigten Kopien voranzuheften sowie das gesamte Paket auch noch zu siegeln. Auf jedem der Deckblätter habe sich ein Passbild der Bittenden befunden. Dazu ein bisschen Text, wobei dessen genauer Wortlaut teilweise unterschiedlich gewesen sei. In der Regel, sagt König, habe er drei Siegel auf so ein Deckblatt gepresst: Eines auf die rechte obere Ecke, um das Deckblatt mit den nachfolgenden Seiten zu verbinden. Eines auf einen Rand des Passbildes, so dass Foto und Deckblatt miteinander verbunden waren. Eines auf seine Unterschrift, mit der er auch bestätigt habe, dass der oder die vor ihm Erschienene der Mann oder die Frau auf dem Passbild sind.

Jedes Mal, sagt König, seien diese Menschen freundlich gewesen. Nie hätten sie ihm ihre Ablehnung des deutschen Staates kund getan. Nie hätten sie ihn in Gespräche zu verwickeln versucht. Nie sei er bedroht worden.

Was aber nicht heißt, dass diese Dokumente nicht benutzt werden, um andere Repräsentanten Deutschlands zu bedrohen, einzuschüchtern oder in die Verzweiflung zu treiben. Das Problem mit staatlichen Siegeln auf Fantasieurkunden von Reichsbürgern ist nämlich, dass die Reichsbürger diese dann bei anderen staatlichen Behörden vorlegen und sie als amtliche Dokumente behandelt wissen wollen. Etwa nach der Logik: »Schauen Sie, eine staatliche Gemeinde hat mein Dokument und damit auch meine Überzeugung anerkannt, also müssen Sie das auch tun.«

So geschehen auch mit mindestens einem der von König gestempelten Deckblätter. Das habe der Reichsbürger aus Bad Liebenstein zwischenzeitlich bei der Kfz-Zulassungsstelle des Wartburgkreises vorgelegt, sagt eine Sprecherin des zuständigen Landratsamtes. Die gewünschte Zulassung eines Autos sei ihm verweigert worden. Ohne auf Details einzugehen, sagt Brodführer, seine Gemeinde habe Kenntnis davon, dass zwei der von König gestempelten Fantasieurkunden bei Thüringer Verwaltungen aufgetaucht seien; mutmaßlich ist eine davon jenes Dokument, das bei der Zulassungsstelle vorgelegt worden ist.

Was aber eben auch meint: Etwa acht solcher Urkunden sind noch im Umlauf. Bislang mehr oder weniger unentdeckt. Ziemlich sicher innerhalb von Thüringen, weil König sagt, er wisse zwar nicht mehr, wie die Reichsbürger hießen, die zu ihm kamen und wo sie wohnen. Aber er sei sich sicher, dass alle Thüringer waren. Bürgern anderer Bundesländer siegele er nichts. »Ich fühle mich als Thüringer Behörde«, sagt König. »Da hätte ich Bauchschmerzen, wenn ich Menschen von außerhalb Dinge siegele.«

Wovon die ziemlich klare Tatsache unberührt bleibt, dass König auch hätte Bauchschmerzen haben sollen, als er irgendjemanden eine Urkunde mit dem Siegel seiner Gemeinde verziert hat. Denn aus der Rechtsaufsicht des Landkreises Schmalkalden-Meiningen heißt es eindeutig: Ehrenamtliche Bürgermeister haben nicht die Befugnis, den Bürgern ihrer Gemeinde irgendetwas zu siegeln; auch wenn sie sich vielleicht - wie König - als Dienstleister sehen und ihren Bürgern nur weite Wege und Kosten ersparen wollen. »Jetzt weiß ich das«, sagt König. Elf Jahre lange habe er zuvor verschiedenste Dokumente gesiegelt, ohne dass sich jemand darüber beschwert habe. Auch nicht andere Behörden. Niemals wieder will er nun etwas mit diesen Deckblättern zu tun haben.

Warum die Reichsbürger überhaupt ausgerechnet zu ihm gekommen sind, das weiß König selbst nicht. Denn bei allen Fehlern, die König gemacht hat: Sympathien für Reichsbürger, ihre Ideologie oder rechtes Gedankengut habe König nicht, sagen Menschen aus der Region Kühndorf, die ihn schon viele Jahre lang kennen.

Allerdings gibt es nach Angaben Königs einen Mann auch in seinem Ort, den er der Reichsbürger-Szene zuordnet - und der seine Mitreichsbürger auf König aufmerksam gemacht haben könnte. Auch dieser Mann habe sich ein Konvolut mit vorangestelltem Deckblatt siegeln lassen. Er wisse nur nicht mehr, ob dieser Mann der erste der etwa zehn Reichsbürger war. »Mir gegenüber«, sagt König, »hat er sich aber nie kritisch gegenüber dem Staat geäußert.« Stattdessen ist der Mann nach Königs Darstellung in der Vergangenheit wie so viele andere Kühndorfer auch durch die gewöhnliche braune Tür in das gewöhnliche weiße Arbeitszimmer zu diesem gewöhnlichen ehrenamtlichen Bürgermeister gekommen und hat einen Teil der gewöhnlichen Segnungen entgegengenommen, die Deutschland denen bietet, die hier leben. Konkret: Gelbe Säcke.

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