Balkan-Syndrom in Italien

Parlament untersucht Folgen von Uranmunitionseinsatz in Kosovo

  • Anna Maldini, Rom
  • Lesedauer: ca. 2.0 Min.

Im italienischen Parlament ist ein Untersuchungsausschuss eingerichtet worden, der sich mit den Folgen des abgereicherten Urans beschäftigen soll, das von den USA im Kosovo-Krieg eingesetzt wurde.

Über 500 italienische Soldaten, die mit abgereichertem Uran, das von den US-Amerikanern im Kosovo-Krieg eingesetzt wurde, in Berührung kamen, sind schwer erkrankt. Der Ausdruck »Balkan-Syndrom« hat mittlerweile sogar Einzug in die Lexika gefunden. Trotzdem: Offiziell wurde diese Krankheit in Italien noch nicht anerkannt. Und das, obwohl ein beachtlicher Teil der italienischen Soldaten, die Ende der 1990er Jahre auf dem Balkan Dienst taten, von verschiedenen Tumorarten betroffen sind. Für Ärzte und viele Experten ist dies ganz eindeutig auf das »abgereicherte Uran« zurückzuführen, das die USA damals in Europa einsetzten. Ähnliche Erkrankungen sind auch in den Vereinigten Staaten bei den Heimkehrern vom »Ersten Golfkrieg« aufgetreten, wo die Spezialmunition ebenfalls Einsatz fand. Das letzte Opfer in Italien, es trägt die statistische Nummer 45, ist ein 30-jähriger Soldat aus Salerno. Nach Einschätzung von Domenico Leggiero vom »Militärobservatorium« sind inzwischen 513 Soldaten von Krankheiten betroffen, die man direkt auf den Kontakt mit dem abgereicherten Uran zurückführen kann, ein Material, das aufgrund seiner hohen Dichte vor allem in panzerbrechenden Geschossen eingesetzt wurde und dessen Anwendung auch hinsichtlich der Menschenrechte äußerst umstritten ist. Seit Jahren kämpft das Observatorium dafür, dass die italienischen Streitkräfte die Erkrankungen, die mit diesem radioaktiven Material zusammenhängen, als »Berufskrankheiten« anerkennen. Bisher ist dies jedoch nur in Einzelfällen geschehen, und das, obwohl die statistische Häufung bei den auf dem Balkan eingesetzten Soldaten nicht mehr mit dem Zufallsprinzip zu erklären ist. Laut Leggiero, der die Angehörigen der Streitkräfte und ihre Familien vertritt, wurden möglicherweise in den letzten Jahren bei 70 Prozent aller damals auf dem Balkan stationierten italienischen Soldaten chirurgische Eingriffe an der Schilddrüse vorgenommen, um ein Ausbrechen von Tumorerkrankungen zu verhindern. »Selbst wenn es nur die Hälfte wäre«, erklärte er auf einer Pressekonferenz im Senat, »wäre die Zahl enorm und es müsste endlich Klarheit geschaffen werden.« Genau diese Klarheit will ein neuer parlamentarischer Untersuchungsausschuss unter der Leitung der kommunistischen Abgeordneten Lidia Menapace, der jetzt eingerichtet wurde. Dieser soll zuerst einmal die genauen statistischen Daten erfassen, was bisher offensichtlich unmöglich war. »Wir wollen objektive und offizielle Daten, mit denen wir arbeiten können«, erklärte Menapace. Die Untersuchungen des neuen Ausschusses, so die Vorsitzende, würden »nicht nur die betroffenen Soldaten erfassen, sondern auch die Zivilbevölkerung in den Kriegsgebieten und diejenigen, die in der Nähe von italienischen Militärstützpunkten leben oder gelebt haben«. Um auch Soldaten einzubeziehen, die befürchten, mit ihren Aussagen eventuell gegen das bei dem Einsatz geltende Kriegsrecht zu verstoßen, wurde der Verteidigungsminister aufgefordert, sie von entsprechenden Auflagen zu befreien. Sollte man einen eindeutigen Zusammenhang zwischen dem radioaktiven Material und den Erkrankungen feststellen, so will der Ausschuss auch Vorschläge unterbreiten, um die augenblickliche Gesetzgebung und die internationalen Verträge, di...

Wenn Sie ein Abo haben, loggen Sie sich ein:

Mit einem Digital-, Digital-Mini- oder Kombi-Abo haben Sie, neben den anderen Abo-Vorteilen, Zugriff auf alle Artikel seit 1990.

Bitte aktivieren Sie Cookies, um sich einloggen zu können.