Eine Streiterin für Mädchen und Frauen

Das Leben der couragierten Helene Lange begann an einem Revolutionstag im Jahr 1848

  • Friedrich Kleinhempel
  • Lesedauer: ca. 3.0 Min.
Helene Lange sei an einem Tag geboren, an dem in ihrer Geburtsstadt Oldenburg Fenster zu Bruch gingen und sich Tumulte auf den Straßen abspielten, ist überliefert. Es war der 9. April des Revolutionsjahres 1848. Wer will, kann das vielleicht als ein Omen für ihr Leben als Vorkämpferin bürgerlicher deutscher Frauenbewegung sehen. Die Eltern von Helene Lange starben früh. Der Vormund verweigerte der Sechzehnjährigen die ersehnte Ausbildung zur Lehrerin, gab sie zu einem schwäbischen Pfarrer. Auch dort durften Weibsbilder nicht mitreden, nicht teilhaben an geistreicher Konversation mit den männlichen Gästen. Erst in einem Internat im Elsass konnte sie gegen Unterkunft und Verpflegung Deutsch unterrichten und am übrigen Unterricht teilnehmen. Sie las viel, bildete sich autodidaktisch zielstrebig in Philosophie und geschichtlichen Fächern, büffelte alte Sprachen. Volljährig geworden zog sie nach Berlin und lernte weiter, bis sie 1871 das Examen für Volksschullehrerinnen bestand. Helene Lange unterrichtete nun als Haus- und Sprachlehrerin und wurde 1876 erste Lehrerin der Crainschen Anstalt in Berlin, einer der nur fünf höheren Mädchenschulen Preußens. Hier baute sie ein Lehrerinnenseminar auf. 1887 wohnte Helene Lange am Schöneberger Ufer 35, als erstmals Berliner Frauen, darunter sie selbst, eine Petition an das preußische Kultusministerium und das Abgeordnetenhaus richteten, mit der Forderung nach Reform der Mädchen- und Frauenbildung. Beigefügt war Langes intelligent kritisierende Begleitschrift »Die höhere Mädchenschule und ihre Bestimmung«. Diese »Gelbe Broschüre« löste eine Agitationswelle für moderne Mädchen- und Frauenbildung im Deutschen Reich aus. Die bis dato dem weiblichen Geschlecht zugestandene geringe, einseitige Schulbildung stünde gegen gleiche Bildungs- und Berufschancen der Geschlechter. Helene Lange forderte die Neuordnung des Mädchenschulwesens unter weiblichem Einfluss und unter Leitung von wissenschaftlich gebildeten Lehrerinnen. Kindergärten müssten höheren Schulen angegliedert werden. Mütterlichkeit und weiblicher Einfluss sollten Fehlentwicklungen der patriarchalischen Gesellschaft korrigieren. Bildung sei Grundlage für die Erkämpfung der »vollen Bürgerrechte der Frau«. Die Petition wurde abgelehnt. Also begann Helene Lange im Oktober 1889 mit privaten Realkursen für Frauen mit geistes- und naturwissenschaftlichen Fächern. Nachdem 1893 in Karlsruhe das erste Mädchengymnasium eröffnet war, wandelte sie die Realkurse in Gymnasialkurse um. 1896 legten erstmals in Berlin sechs junge Frauen die Reifeprüfung ab - alle mit gutem Ergebnis. Zur Interessenvertretung weiblicher Unterrichtender hatte sie 1890 mit Auguste Schmidt den »Allgemeinen Deutschen Lehrerinnenverein« gegründet, wurde dessen Vorsitzende und übernahm mit ihrem Frauenbildungsprogramm, zahlreichen Vorträgen und Publikationen vollends die geistige Führung gemäßigter bürgerlicher Frauenbewegung. 1893 war sie im Vorstand des von Louise Otto-Peters gegründeten »Allgemeinen Deutschen Frauenvereins«. Zwei Jahre später gründete die couragierte Helene Lange den »Bund Deutscher Frauenvereine« als Dachverband für alle Fraueninitiativen - außer für die sozialdemokratischen, deren politische Ziele sie als Vorstandsmitglied ablehnte. Im »Frauenweltbund« nahm sie an internationalen Kongressen teil. Mit ihrer 25 Jahre jüngeren Lebensgefährtin Gertrud Bäumer, mit der sie seit 1898 zusammen wohnte, edierte sie das »Handbuch der Frauenbewegung« (5 Bände 1901-1906) und die Monatsschrift »Die Frau« (Berlin 1893-1944) zu Fragen bürgerlicher Frauenbewegung - nach Langes Tod von Gertrud Bäumer bis zuletzt herausgegeben. Die 1908 unter Helene Langes beratender Mitwirkung in der preußischen Kultusverwaltung beschlossene Reform für Mädchenschule und Frauenstudium begrüßte sie als Erfolg ihres Lebenskampfes. Zur Arbeiterfrauenbewegung hatte Helene Lange stets Distanz gewahrt. Während des Ersten Weltkrieges unterstützte sie den chauvinistischen Nationalen Frauendienst, zog 1917 mit Bäumer nach Hamburg, lehrte dort an ihrer »Sozialen Frauenschule«. 1919 - nach Gewährung des aktiven und passiven Frauenwahlrechts - gehörte Helene Lange zu den Mitgründern der Deutschen Demokratischen Partei, für die sie in die Hamburgische Bürgerschaft als Alterspräsidentin einzog. 1920 kamen Lange und Bäumer zurück nach Berlin. Als Ehrendoktorin der Universität Tübingen, Ehrenbürgerin der Stadt Oldenburg und Trägerin der großen preußischen Madaille »Für Verdienste um den Staat« starb die ...

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