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Avatare als Hoffnungsträger

In der Krebsforschung werden Mini-Organe oder Mäuse als Stellvertreter für die Behandlung von Tumor-Patienten eingesetzt

  • Ulrike Roll
  • Lesedauer: 3 Min.

Ein Avatar ist ein Stellvertreter in einer anderen Welt. Computerspieler bewegen sich mit ihrem Avatar in einer virtuellen Welt. Für einen Krebspatienten kann er jedoch ein Tier oder ein Mini-Organ sein, das seinen Tumor trägt. In der Forschung dienen Mäuse, Zebrafische oder winzige Organmodelle als Stellvertreter: Mit ihnen wollen Wissenschaftler vorhersagen, ob Medikamente einem Menschen gegen seinen speziellen Tumor helfen.

»Es gibt Patienten, bei denen keine etablierte Therapie wirkt - gerade bei fortgeschrittenen Tumoren«, erklärt Johannes Betge, Krebsforscher an der Uniklinik Mannheim. Krebs ist nicht gleich Krebs. Bei Lungen- oder Brustkrebs zum Beispiel kennt die Tumormedizin jeweils rund 30 Varianten oder Untergruppen.

Je nach Art oder Lage des Tumors kommen Operationen, Chemo-, Strahlen-, Hormon- oder Immuntherapien infrage. Ein Mittel, das bei einem Patienten die Metastasen schrumpfen lässt, löst bei einem anderen nur unangenehme Nebenwirkungen aus.

Während Ärzte Behandlung um Behandlung erproben, läuft ihnen die Zeit davon. Zudem können sich Tumore verändern. »Sehr oft bilden sich Resistenzen gegenüber Therapien«, beschreibt Betge. Gemeinsam mit dem Deutschen Krebsforschungszentrum Heidelberg arbeitet er im aktuellen Forschungsprojekt PROMISE daran, hilfreiche Therapien für den einzelnen Kranken herauszufiltern.

Dazu erschafft Betge Mini-Organe als Avatare des Patienten: Er entnimmt eine kleine Menge Zellen - in der Regel bei Magen- oder Darmkrebskranken.

»Durch eine Weiterentwicklung der Zellkultur entstehen dreidimensionale Mini-Organe, die an das ursprüngliche Organ erinnern«, erklärt der Mediziner.

Mithilfe von speziellen Nährstoffen und einem »Baugerüst« wächst eine nur wenige Millimeter große Gewebekugel, die alle wesentlichen Darmzellen beherbergt und an der Behandlungsmethoden erprobt werden können. Mit diesen sogenannten Organoiden wollen die Forscher eine personalisierte Medizin vorantreiben, die passgenaue Behandlung jedes Einzelnen.

Auch Ulrich Keilholz, Direktor am integrativen Tumorzentrum der Berliner Charité, arbeitet mit Organoiden als Avataren. Anders als die Heidelberger und Mannheimer Forscher stellt er keine individuellen Abbilder her, sondern »Serienmodelle«. Statt Avataren einzelner Kranker erschafft er Stellvertreter, die die vielen, aber letztlich doch endlichen Krebsformen tragen. Er will damit systematisch die verschiedenen Untergruppen der Krankheit erfassen und »wissen, was bei den Krebszellen falsch läuft«. Statt von personalisierter Medizin spreche er »lieber von Präzisions-Onkologie«, erklärt der Forscher: »Ich will für jede Krebserkrankung ein Profiling.«

Für seine Forschung, mit der er für die zahlreichen Subgruppen der Tumore eine wirksame Behandlung vorhersagen will, verwendet er neben Organoiden auch Mäuse. Eine Maus ist dem Menschen ähnlicher als ein Mini-Organ, denn das Tier besitzt einen Blutkreislauf, ein Immunsystem und einen ähnlichen Stoffwechsel. Ein Zellkulturmodell besitzt dagegen keine Leber oder Niere.

Ist es ethisch, dass eine Maus stellvertretend für einen Menschen leiden muss? »Wir forschen auf verschiedenen Ebenen und versuchen, dabei so wenig Tierversuche wie möglich zu machen«, betont Keilholz. Aber die Ethik habe zwei Seiten. Auf einer Seite stehe das Tier, auf der anderen der Krebskranke, dem er als Mediziner so gut wie möglich helfen wolle. So plädiert er für sparsame, gezielte Mausexperimente, damit er in Folge Patienten wirksam behandeln kann.

Der Wissenschaftler warnt allerdings vor kommerziellen Unternehmen, die Maus-Avatare für rund 10 000 Euro anbieten. Patienten sollten kein »Geld in unsinnige Dinge stecken«, sagt er. Denn es dauere bis zu sechs Monate, bis die Stellvertreter-Maus erschaffen ist, Zeit, die viele Patienten nicht haben.

Sein Mannheimer Kollege Betge kritisiert, dass derzeit »pro Patient an die 100 Maus-Avatare geopfert werden«. Er setzt darauf, dass eines Tages die Organoid-Technik so ausgereift sein wird, dass in kürzester Zeit Tausende Medikamente überprüft werden könnten. Damit könnte das heute noch teure Organoid-Verfahren die Maus-Experimente zu großen Teilen ersetzen. Noch sind jedoch umfangreiche Studien bei allen Arten von Stellvertretern nötig. epd/nd

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