Der Professor und der Präsident

Jiri Drahos und Milos Zeman in der Stichwahl zum tschechischen Staatschef

  • Jindra Kolar, Prag
  • Lesedauer: 5 Min.

Wenige Wochen noch trennen den Professor für Chemie Jiri Drahos von seinem 69. Geburtstag. Vielleicht kann sich der ehemalige Präsident der Tschechischen Akademie der Wissenschaften bereits am kommenden Wochenende sein schönstes Geschenk selbst machen. Dann nämlich geht er in die Stichwahl um das höchste Amt im Staate. Und Drahos hat gute Aussichten zu gewinnen. Zwar lag der Kandidat des bürgerlichen Lagers um etwa zehn Prozentpunkte hinter dem Amtsinhaber Milos Zeman, doch haben einige der anderen Kandidaten ihre Wähler aufgefordert, im zweiten Wahlgang für ihn zu stimmen. Zeman hingegen muss sich auf seine Unterstützer verlassen und auf das Drittel der Nichtwähler hoffen.

Jiri Drahos ist nie einer Partei verbunden gewesen. Seine Organisation - so sein häufig gehörtes Credo - sei die Wissenschaft. Dennoch ist er vor allem der Kandidat des bürgerlichen Lagers, der Bürgerdemokraten ODS sowie der rechtsliberalen TOP09 des früheren Finanzministers Miloslav Kalousek und des ehemaligen Außenministers Karel Schwarzenberg.

Obgleich die Mehrheit der populistischen Bewegung ANO auf Seiten Zemans steht, genießt Drahos auch in den Reihen der größten Parlamentsfraktion große Sympathien. Auch in anderen politischen Parteien meint man, eine Amtszeit Zemans reiche. Es sei Zeit für einen Neubeginn.

Zwar verbrachte Jiri Drahos seine Kindheit und Jugend in der schlesischen Kleinstadt Jablunkov, in der er auch heute noch einen Wohnsitz hat. Doch zog es ihn nach der Schulausbildung in die Hauptstadt und zur Wissenschaft. Er studierte an der Hochschule für Chemie und Technologie, habilitierte 1994 auf dem Gebiet des Chemieingenieurswesens und blieb der Fachrichtung stets verbunden, selbst als er 2009 zum Präsidenten der Tschechischen Akademie der Wissenschaften berufen wurde. Eine Funktion, die er bis zum März 2017 ausübte und deren Erfahrungen durchaus helfen könnten, die Klippen des höchsten Amtes im Staat zu umschiffen.

Die Selbstverständlichkeit, mit der sich Drahos in der Welt von Politik, Wirtschaft und Wissenschaft bewegt, mag ihn auch anziehend für seine Wählerschaft machen. Die bürgerlichen Parteien haben ihr Potenzial stets aus den Metropolen des Landes bezogen. Sowohl als Präsident der Akademie der Wissenschaften als auch der Europäischen Föderation für das Chemieingenieurwesen bewegte sich Drahos gekonnt auf internationalem Parkett. Zu Zeiten der sozialistischen Tschechoslowakei hielt er sich zu Studienaufenthalten in der Bundesrepublik Deutschland auf. 1989 wurde er für eine Gastprofessur ins brasilianische Sao Paulo eingeladen.

Drahos ist bekennender Europäer und kann sich Tschechiens Zukunft nur innerhalb einer starken EU vorstellen. Deutlich ist auch sein Bekenntnis zur NATO. Im Gegensatz zu Zeman will Drahos Distanz zu Moskau zu wahren: »Wir können nicht als Brücke zwischen Russland und dem Westen fungieren, denn wir sind fester Bestandteil der EU.« Und er fügt bitter hinzu: »Im Übrigen haben wir Tschechen unsere Erfahrungen mit der russischen Mentalität gemacht.«

Als Präsident - so er gewählt würde - wolle er den Politikern helfen, Lösungen für die anstehenden Probleme zu finden. Leise, diplomatisch. »Ich bin ein Mensch, der erst lange nachdenkt, bevor er redet«, erklärt Jiri Drahos - ein Seitenhieb gegen den Mitbewerber.

Milos Zeman, 2013 als erster Präsident direkt vom Volk gewählt, hofft auf eine zweite Chance. Der Amtsinhaber gibt sich als volksnaher Staatschef. Seit seinem Amtsantritt reist er sozusagen auf permanenter Wahlkampftour durch Tschechien kaum ein Kreis, der in den vergangenen fünf Jahren nicht vom Präsidenten besucht wurde. Dabei kümmert er sich um die scheinbar unwichtigsten Dinge, etwa die Einrichtungen neuer Skilifte in dem winzigen Dorf Bublava, dem deutschen Klingenthal gegenüberliegend. Bei vielen Menschen kommt diese Nähe an, sie sehen Zeman als einen der Ihren. Das Bürgertum in Tschechien hingegen sähe es lieber, er wäre ein staatstragend auftretender Repräsentant seines Landes, der europäischen Kultur verpflichtet.

Im Unterschied zu seinen Vorgängern Vaclav Havel und Vaclav Klaus ließ Zeman in seiner ersten Amtszeit gute Beziehungen zu Moskau und Peking wiederaufleben. Der Präsident begründete diese Orientierung mit der Rolle Tschechiens als Brücke zwischen Osteuropa bzw. Asien hin zur westeuropäischen Welt. Natürlich stand im Kalkül seiner Staatsbesuche etwa zum 70. Jahrestag des Sieges über Nazi-Deutschland in Moskau oder zum Jahrestag des Sieges der kommunistischen Revolution in Peking auch die Erweiterung der wirtschaftlichen Beziehungen der Moldaurepublik Richtung Osten.

Zeman brachte von seinen Reisen Milliardenaufträge für die tschechische Wirtschaft mit. Was kümmerten ihn da EU-Sanktionen gegen Moskau wegen des Anschlusses der Krim? Der Herr auf der Burg hielt diese Strafmaßnahmen ohnehin für das falsche politische Mittel.

Seine EU-Skepsis bezieht sich auch auf die von Brüssel beschlossene Flüchtlingspolitik. Wie auch die Regierungspolitiker in Prag lehnt der Präsident eine Quote Aufzunehmender ab. In seinen markigen Worten spricht er gar von einer »kulturfremden Invasion der Muslime«, die nur »Terror nach Europa« brächten. Sollte Zeman wiedergewählt werden, dürfte dies kaum Erleichterung in dieser Frage bringen.

Wie kein anderer Präsident zuvor hat Zeman seine innenpolitischen Befugnisse in der Verfassung weit ausgereizt. So installierte er die Expertenregierung unter Jiri Rusnok. Der hatte bereits in der Regierung Zemans als Minister fungiert und ihn dann 2013 als Präsidentschaftskandidat unterstützt. Im Gegenzug dankte Zeman dies nun mit der Ernennung zum Chef eines Kabinetts, in dem auch weitere Getreue der Partei SPOZ (Partei der Bürgerrechte - Zemanovci) vertreten waren. Zeman gründete die SPOZ 2009, nachdem er sich von den Sozialdemokraten getrennt hatte - weil diese ihn nicht in seinem Streben nach dem Präsidentenamt unterstützen wollten. Die Kleinpartei hat allerdings nie den Sprung ins nationale Parlament geschafft.

Aktuell fördert der Staatspräsident den Sieger der jüngsten Parlamentswahlen, den Agrarmilliardär Andrej Babis. Dem Chef der Bewegung unzufriedener Bürger (ANO) wurde zwar in der vergangenen Woche das Vertrauen des Parlaments verweigert, Zeman jedoch gedenkt, ihn wieder zu nominieren, schon als Dank dafür, dass ANO selbst keinen Kandidaten ins Rennen um das hohe Amt auf der Burg geschickt hat. Am Samstag könnte sich deshalb auch das politische Schicksal Babis‘ entscheiden.

Ob Zeman wieder auf dem Hradschin einzieht, wird vor allem davon abhängen, ob er Stimmen aus der Wählerschaft der übrigen Kandidaten der ersten Runde auf sich ziehen kann. Nur haben die Nächstplatzierten der ersten Wahlrunde bereits angekündigt, Zemans Gegenkandidaten Jiri Drahos unterstützen zu wollen.

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