Zwischen Freiheit und Kontrolle

Ein Gespräch mit Kristoffer Gansing, dem Kurator des Medienkunstfestivals »Transmediale«

  • Tom Mustroph
  • Lesedauer: 4 Min.

Kristoffer Gansing, beim Motto »Face Value« für ein Medienkunstfestival denkt man zuerst daran, dass es um das Thema Gesichtserkennung und Überwachung gehen wird. Reiht sich die Transmediale in diesen Diskurs ein?

Das Thema wird in der Konferenz eine Rolle spielen, aber nicht so plakativ wie in den Mainstreammedien. Wir gehen mehr in die Tiefe. Es geht nicht allein darum, was man mit diesen Technologien jetzt machen kann und wie dystopisch das Ganze ist. Wir wollen auf die Kontexte blicken, die Modellbildungen problematisieren und untersuchen, auf welchen kulturellen Vorurteilen Entscheidungen basieren. Wer definiert hier wen und wie geschieht das?

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Vom 31. Januar bis zum 4. Februar findet im Haus der Kulturen der Welt (John-Foster-Dulles-Allee 10, Mitte) die 31. Auflage der »Transmediale« statt. Das Medienkunstfestival lotet die dunklen und die hellen Seiten digitaler Technologien aus. Im Vergleich zu den Vorjahren wird die Transmediale in diesem Jahr wieder politischer. Unter dem Motto »Face Value« untersucht sie Machtstrukturen, Diskriminierungs- und Identifizierungsprozesse in der digitalen Welt. Das Festival mit mehreren Ausstellungen, zahlreichen Performances und Workshops sowie einem dichten Konferenzprogramm verbindet Kunst, Kultur und Technologie. Mit dem Kurator Kristoffer Gansing sprach für »nd« Tom Mustroph.

Können Sie Beispiele nennen?

Eines ist das Ausstellungsprojekt »A Becoming Resemblance« von Heather Dewey-Hagborg und Chelsea Manning. Dort sind 30 dreidimensionale Porträts der bekannten Whistleblowerin zu sehen. Heather Dewey-Hagborg hat mögliche Gesichter von ihr entwickelt, die aus einer DNA-Probe von Manning entstanden sind. Als Manning im Gefängnis war, hat sie sich ja einer Geschlechtsumwandlung unterzogen. Für eine Weile gab es zwar Interviews von ihr, aber keine Bilder. Es herrschte eine Unsicherheit, welche Bilder man von ihr nehmen sollte. Und Dewey-Hagborg bat sie damals um eine DNA-Probe, um mögliche Porträts von ihr machen zu können.

Es handelt sich um unterschiedliche Versionen?

Ja, sie unterscheiden sich in der Länge des Haares, auch der Hautfarbe. Es geht darum, dass der, der mithilfe der Daten modelliert, ja Entscheidungen trifft und Interpretationen der Daten vornimmt. Das geschieht dann aufgrund von kulturellen Vorurteilen.

Das heißt also, in der Interpretation der Daten liegt ein Spielraum, eine Freiheit sogar, aber eben auch ein Machtpotenzial?

Genau. Und es geht auch darum, von dieser Datenfixierung wegzukommen. Daten werden allgemein mit Wissen gleichgesetzt. Das Weltbild, das dadurch entsteht, betrachtet das Sammeln von Daten daher als eine Summierung von Wissen. Welches Wissen und welche Art von Gesellschaft dadurch produziert werden, wird aber weniger gefragt. Wir wollen die Machtpositionen in diesem Feld stärker untersuchen. Und die Ausstellung mit den Porträts von Chelsea ist ein einfacher und zugleich spielerischer Zugang.

Wird Chelsea Manning auch kommen, und mit ihrem Antlitz den »Face Value« der Transmediale erhöhen?

Wir waren knapp davor, dass es geklappt hätte. Nun kommt sie aber doch nicht. Das ist einerseits natürlich schade. Andererseits hätte ihre Präsenz hier vielleicht auch alles überschattet. Die Idee mit der Ausstellung hatten wir ja, bevor Chelsea Manning zu einer derartigen Berühmtheit wurde und auch vor dem Beginn ihrer politischen Karriere. Anm. d. Red.: Chelsea Manning bewarb sich im Januar bei den Vorwahlen der Demokraten für den US-Senat im Bundesstaat Maryland.

Wie kam es überhaupt zum Thema »Face Value«?

Wir haben daran bereits 2016 gedacht, bei der Vorbereitung der letzten Transmediale. Die war als Ausgabe zum 30. Jubiläum des Festivals sehr breit angelegt, und wir wollten jetzt wieder stärker fokussieren und auch politischer werden. Inspiriert war es von tautologischen Statements im politischen Bereich. Theresa May etwa sagte, als sie gefragt wurde, was der Brexit für die Briten bedeuten würde, nur knapp: »Brexit means Brexit.«

Ein Versuch also, sich aus Erklärungen herauszuwinden mit einem auf sich selbst beziehenden Statement?

Ja, und es gab dann ja noch die absurde Variation: »Brexit means Brexit because it means Brexit.« Das ist eine Rhetorik, die nur auf sich selbst verweist. Es ist auch ein exkludierender Prozess, wie er für den Populismus prägend ist. Da wird in der Öffentlichkeit behauptet, für »das Volk« und »im Namen des Volkes« zu sprechen, aber es gibt keine Möglichkeit, durch diese Oberfläche durchzudringen.

Es wird also einige Veranstaltungen auch zu den rechten und rechtspopulistischen Bewegungen und ihrer Nutzung von Informationsmedien geben?

Ja, wir haben die »Hate Library« von Nick Thurston, die rechte Foren und ihre Methoden der Rekrutierung und Organisation untersucht und ein Panel über »Die vielen Gesichter des Faschismus«. Es geht uns aber auch um die ökonomischen Verbindungen. »Face Value« kommt ja als Begriff aus der Wirtschaft, steht für den Nennwert einer Münze. Interessant ist der Zusammenhang zwischen einer durchökonomisierten neoliberalen Welt mit all den Plattformen, die die Ausbeutung weiter vorantreiben, und den mittlerweile abgekoppelten Teilen der Gesellschaft, die von den rechten Bewegungen auch dank der medialen Strukturen miterzeugt werden. Daraus ergibt sich auch eine recht starke Setzung ökonomischer Themen auf dieser Transmediale.

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