Bernau braucht eine U-Bahn

Linksfraktion behandelt politische Themen zum neunten Mal auf kabarettistische Weise

Seit vergangenem Jahr ist die im Bauhausstil errichtete alte Gewerkschaftsschule in Bernau als Weltkulturerbe anerkannt. Doch über das Wie und Wo wissen viele Einwohner der Stadt immer noch nicht Bescheid. »Kulturerbe? Ich habe nichts zu vererben« oder »Bauhaus? Wir haben nur OBI« sind die Antworten, die ein Touristenpärchen auf die Frage nach dem Weg bekommt.

Die Szene könnte echt sein, ist allerdings ein Scherz. Sie ist am Freitagabend eine der bejubelten Nummern beim politischen Aschermittwoch der Bernauer Linksfraktion. Bereits seit neun Jahren zeigen Stadtverordnete und ihr Umfeld am Freitag nach Aschermittwoch ein eigens eingeübtes Kabarettprogramm. Diesmal trägt es den Titel: »Wir sind Weltkultur!« Das Ofenhaus in der Weinbergstraße ist wieder proppenvoll.

In der Politik engagieren sich die Stadtverordneten ehrenamtlich, als Kabarettisten sind sie Laien. Sie bitten um Verständnis, wenn nicht jede Pointe aufs Stichwort sitzt. Tatsächlich klappt nicht alles perfekt, aber doch gut. Das Publikum amüsiert sich, applaudiert und singt Lieder mit.

Während die Linksfraktion auf der Bühne steht, befinden sich Stadtverordnete anderer Parteien unter den Zuschauern. Alle bekommen ihr Fett weg, verspricht Linksfraktionschefin Dagmar Enkelmann zu Beginn. Es trifft den als egozentrisch verhohnepipelten CDU-Kommunalpolitiker Daniel Sauer und den als Rumpelstilzchen in Erscheinung tretenden Péter Vida, der im Stadtparlament nicht mehr als Unabhängiger firmiert, sondern als Freier Wähler. Veräppelt werden außerdem die Grünen, die sich mehr um Biene Maja zu sorgen scheinen als um die Bürger.

Bürgermeister André Stahl (LINKE) sitzt in der ersten Reihe und wird immer wieder auf die Schippe genommen, allein vier Mal als derjenige, der die Herrichtung eines Parks unter Verweis auf die Schadstoffkontaminierung blockiere. Stahl zählt mit und nimmt es mit Humor.

Mehrere der 27 Nummern des zweistündigen Programms befassen sich mit der wachsenden Bevölkerungszahl und den daraus erwachsenden Problemen. So heißt es gereimt: »3000 Leute ziehen her./ Wie soll das werden mit dem Verkehr?/ Da muss vielleicht eine U-Bahn her.«

In der Nummer »Boomtown Bernau« freut sich die Ehefrau über die herrliche Aussicht auf ein Feld. Ehemann Karl-Otto freut sich, dass die Berliner »alle« nach Bernau ziehen möchten. Denn wenn Bauland gefragt ist, lasse sich mit dem Eigenheim 100 Prozent Rendite machen, während die Sparkasse keine Zinsen zahle, rechnet er kühl. Der Blick aus dem Fenster ist ihm egal. Er liest Zeitung. Doch die Frau warnt ihn: Wenn die Aussicht zugebaut wird, wäre das Häuschen nur noch die Hälfte wert. Unerhört! Dass will Karl-Otto nicht zulassen. Er möchte jetzt in die Bürgermeistersprechstunde laufen und eine Bürgerinitiative gründen.

Die Zuschauer johlen, als die blonde Dagmar Enkelmann mit einer Perücke als Sahra Wagenknecht auftritt, die streng zurückgekämmten schwarzen Haare signalisieren das. Wagenknecht erscheint als letzte zur Paartherapie der Linkspartei und betont dort als erstes, das sei hier in Wahrheit die Paartherapie der Linksfraktion und sie wolle zuerst das Wort ergreifen, sonst trete sie zurück. Die ebenfalls blonde Kerstin Kühn verkörpert mit roter Perücke Katja Kipping. Parteichefin und Fraktionsvorsitzende geraten sich in die Haare. Ihre Co-Vorsitzenden Bernd Riexinger und Dietmar Bartsch kommen nicht zu Wort. Sie fragen am Ende lediglich schüchtern: »Wir dürfen unsere Meinung sagen?« Doch da sind sich Kipping und Wagenknecht plötzlich einig: »Nein, so war das nicht gemeint.« In der nächsten Nummer mimt ein Darsteller mit gewaltigem Rauschebart Karl Marx und bekennt, mit diesem Führungspersonal werde das nichts mit der Revolution.

Kanzlerin Angela Merkel tritt auch auf, gespielt von Margot Ziemann. Merkel macht eine Entspannungsübung: »Mein Kopf ist wohltuend leer.« Und sie macht Einbürgerungstests mit Mohammed aus Marokko und Holzmichel aus Schwaben. Holzmichel fällt durch, weil er unter anderem denkt, der Ausländeranteil Bernaus müsse bei mindestens 30 Prozent liegen und nicht bloß bei 1,3 Prozent. Mohammed besteht den Test und darf zur Belohnung ein Selfie mit Merkel schießen. Doch für dieses Foto fehlt ihm ein Mobiltelefon. Er bekommt eins geborgt. Holzmichel schimpft empört: »Die kriegen alles!«

Eine Rede hält der Ex-Bundestagsabgeordnete Jan van Aken, in diesem Falle der echte van Aken. Enkelmann hat ihn darum gebeten, aber wohl nicht darauf hingewiesen, dass es die Rede zum politischen Aschermittwoch sein soll. Dabei ist van Aken doch Hamburger und als Nordlicht hat er mit Fasching und Komik nichts am Hut, wie er bedauert. Mit solchen Bemerkungen bringt er das Publikum zum Lachen. Es hat aber einen ernsten Hintergrund, was er erzählt. Er sagt, er sei froh, nicht mehr im Bundestag zu sitzen. In seinen acht Jahren im Parlament sei er immer rausgegangen, wenn die rechte CDU-Abgeordnete und Vertriebenenpräsidentin Erika Steinbach an das Rednerpult trat. Doch mit der AfD seien nun einfach zu viele Rechte im Bundestag, um weiter so zu handeln.

2019 fällt der Ascherfreitag auf den 8. März, den Frauentag, der auch gefeiert werden soll. Darum soll das zehnte Aschermittwochsprogramm der Linksfraktion dann schon am 6. März gezeigt werden. Zum Jubiläum wird nicht ins Ofenhaus eingeladen, sondern ganz groß in die Stadthalle. Alte Programme sind als Videomitschnitte bei youtube.de eingestellt. Der jüngste Mitschnitt soll ebenfalls hochgeladen werden.

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