Der Psychoanalytiker

Dominik Graf seziert in »Verfluchte Liebe deutscher Film« den Autorenfilm der 1960er- und 70er Jahre

  • Jan Freitag
  • Lesedauer: 4 Min.

TV-Journalisten, das zeigt die Flut Presenter-Reportagen, wagten sich aus der Deckung. Von der »Story im Ersten« bis »ZDFzoom«, vom Pro7-Hipster Thilo Mischke bis zur ARD-Glatze Christoph Lütgert zeigen Männer (und nur die) zusehends Gesicht. Ob das nun zweckdienlich ist, eitel oder beides, bedarf zwar stets der Einzelfallprüfung; Anlass zur Fremdscham besteht aber regelmäßig, wenn Sendersubjekte ihrem Berichtsobjekt sichtbar hinterherlaufen, als wäre der Einsatz ansonsten unglaubwürdig. Da wirkt es angenehm zurückhaltend, wenn einer, dessen Kopf tatsächlich öfter ins Bild gehört, nur ab und an sein Lachen zeigt. Ein ehrliches, kluges, angemessenes Lachen.

Das Lachen von Dominik Graf. Der einflussreichste, viele sagen gar: beste Regisseur des hiesigen Fernsehens lässt es manchmal hören, wenn er mit den einflussreichsten, viele sagen jedoch: furchtbarsten Regisseuren des hiesigen Kinos spricht. Mehr ist in der Dokumentation »Verfluchte Liebe deutscher Film« nicht zu sehen vom Autor. Außer natürlich ein Inhalt, der keines zweckdienlich eitlen Presenters bedarf. Weil dieser Inhalt so geschliffen und zugleich roh, bei aller Sperrigkeit also derart sehenswert ist, dass man dieses neunzigminütige Essay selbst bei diesem Sendetermin zur nachtschlafenden Zeit verschlingen muss.

Es geht darin, der Titel lässt es erahnen, um eine Sado-Maso-Beziehung. Der deutsche Film, diese Behauptung stellt Dominik Graf eingangs auf, sei »totgefördert, totgescriptet, totgequatscht, totunterrichtet, totproduziert, totgelacht, totgegrübelt«, ergo: nicht zu retten. Das ist im Angesicht von Nonnenulk, Quizeinerlei, Traumstrandseife jetzt keine allzu steile These; besonders, wenn sie von einem Arthaus-Künstler Mitte 60 stammt, der Publikumserwartungen seit jeher mit dem genauen Gegenteil umkurvt und damit sogar Erfolg hat. Spannend wird der Nachruf erst, weil er nicht der Gegenwart gilt, sondern einer Vergangenheit, die sich einst von der ihren zu lösen versuchte. Graf stellt die Ära des Autorenkinos unters Brennglas seiner allumfassenden Analytik: Die 60er und 70er Jahre.

An deren Ende unternahm der damalige Student an Münchens Hochschule für Fernsehen und Film die ersten Gehversuche im Metier. Seine Forschungsreise beginnt dennoch früher, im Jahr 1962, als der kleine Dominik grad aufs Gymnasium wechselte. Bei den 8. Westdeutschen Kurzfilmtagen verfasste damals eine Schar Jungregisseure das »Oberhausener Manifest«. Darin wurde, genau: der alte Film für tot erklärt. Und zwar völlig zu Recht, wie Grafs schauerliche Kompilation zeitgenössischer Kassenschlager zeigt. Das Nachkriegskino war ein künstlerisches Desaster, dominiert von Förstern, Schlager, Ärzten einer Nation, in der es mit Stichtag 8. Mai 1945 offenbar keinen Nazi mehr gab. Doch wie das so ist, wenn neu gegen alt rebelliert, gibt es keinen Wandel, sondern nur Brüche, radikal und schwer verdaulich.

Filmberserker wie Roland Klick oder Klaus Lemke wollten ja nicht nur den körperlos klinischen Mainstream von Alfred Vohrer bis Harald Reinl vernichten, sondern deren Handwerk im Ganzen. Mit der Folge, dass es völlig ungenießbar wurde. Was naturgemäß die Konterrevolution hervorrief. Konterkonterrevolutionen und geistig-moralische Wenden inklusive. Dominik Graf beschreibt dieses Zeitalter der Bilderstürme mit großer Hingabe, quasi als Psychotherapeut auf eigener Couch. Der Schauspielersohn darf das. Schließlich hat er sich sechs Jahre nach dem gefeierten Debüt »Der kostbare Gast« von 1979 dem deutschesten aller Massenthemen gewidmet: Krimi. Fürs Erste entwickelte er den »Fahnder«, drehte mit »Frau Bu lacht« den wohl besten »Tatort«, zeigte »Im Angesicht des Verbrechens« deutsches Fernsehen auf Weltniveau, ließ Hanns von Meuffels im »Polizeiruf« brillieren und bog zuletzt als »Zielfahnder« virtuos vom Mainstream ab.

Ein Grund ist sein Stil, auf der Suche nach Wahrhaftigkeit Wichtiges und Banales zu vermischen. Wo andere den Ermittlern beim Ermitteln zusehen, zoomt Graf in den Himmel oder den Wald hinein. So verfährt er auch in »Verfluchte Liebe deutscher Film«. Graf therapiert die Liebe seines Lebens in Abseiten, die nur wenige kennen. Roger Fritz’ »Mädchen mit Gewalt« zum Beispiel, den der WDR am Dienstag um 23.15 Uhr zeigt: Von der Kritik verrissen, brachte die Gangsterballade Hauptdarsteller Klaus Löwitsch 1970 den Bundesfilmpreis, in ihrer knisternden Virilität ungemein fesselnd, sind die 70 Minuten schwer zu ertragen. Hassliebe deutscher Film. Hier kann man sie am eigenen Leib erfahren.

WDR, 23.30 Uhr

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