Nach 19 Jahren im Untergrund hat sich die linke Aktivistin Adrienne G. gestellt. Gegen das ehemalige Mitglied der militanten Frauengruppe »Rote Zora« begann an diesem Mittwoch in Berlin der Prozess.
Mit einem Geständnis hat die Verhandlung gegen ein Mitglied der »Roten Zora« begonnen. Adrienne G. wird die »Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung« und die Beteiligung an der Vorbereitung zweier Sprengstoffanschläge vorgeworfen. G. bekannte sich in einer von ihrer Anwältin Edith Lunnebach verlesenen Erklärung dazu, von Oktober 1986 bis Mai 1987 Teil der von den »Revolutionären Zellen« (RZ) abgespaltenen Roten Zora gewesen zu sein. Auch ihre Beteiligung an den Anschlagvorbereitungen gestand sie. G. sei über ihr Engagement in der Frauenbewegung zur Roten Zora gestoßen und habe sich mit deren Zielen identifiziert, sagte Lunnebach.
Die heute 58-Jährige hatte sich nach 19 Jahren im Untergrund im Dezember vorigen Jahres zusammen mit ihrem der Mitgliedschaft in den RZ beschuldigten Lebensgefährten Thomas K. gestellt. Der Vorsitzende Richter Jürgen Warnatsch verlas zu Beginn der Verhandlung eine Erklärung, in der es hieß, dass bereits seit November Verhandlungen zwischen Anwältin Lunnebach und der Bundesanwaltschaft geführt worden seien.
G. sei zugesichert worden, dass die Anklage nicht über die beiden Punkte hinaus ausgedehnt würde und sie mit einer Höchststrafe von zwei Jahren auf Bewährung rechnen könne, wenn sie sich stelle. Der erste Strafsenat des Berliner Kammergerichts sehe keinen Grund, von dieser Zusage abzuweichen, sagte Warnatsch. Auf Zeugenladungen habe man verzichtet, man wolle sich den Sachverhalt im »Selbstlesestudium« aneignen.
Neben der Anklageschrift und Erklärungen wurden Ermittlungsprotokolle zu den beiden Anschlägen verlesen. Der erste Prozesstag endete nach etwas mehr als einer Stunde.
Die Revolutionären Zellen/Rote Zora waren als militante sozialrevolutionäre Gruppen in den 70er bis 90er Jahren aktiv. Die Rote Zora löste sich Anfang der 80er Jahre von den RZ und agierte seitdem eigenständig. Zwischen 1983 und 1995 bekannte sie sich zu zahlreichen Brand- und Sprengstoffanschlägen, darunter ein gescheiterter Anschlag auf das Berliner Gentechnikinstitut am 18. Oktober 1986. Hierfür hatte G. einen elektronischen Wecker als Zeitzünder gekauft. Der Sprengsatz wurde vorzeitig entdeckt und entschärft. In einer Erklärung hieß es damals, dass die Rote Zora die Gentechnik radikal ablehne und diese »in ihrer Gesamtheit« bekämpft werden müsse.
Der zweite versuchte Anschlag, an dessen Vorbereitung G. ebenfalls durch einen Weckerkauf beteiligt war, richtete sich gegen den Konzern »Adler«. Zahlreiche Textilarbeiterinnen, die gegen katastrophale Arbeitsbedingungen und für höhere Löhne in einer Fabrik in Südkorea gestreikt hatten, waren entlassen worden. Zudem ging die Polizei gewaltsam gegen die streikenden Frauen vor. Die Rote Zora führte in der Folge Aktionen gegen den Bekleidungshersteller durch, die den Konzern letztendlich zur Wiedereinstellung der entlassenen Frauen und zu Lohnerhöhungen zwangen.
Nachdem die RZ/Rote Zora bei sehr vielen Anschlägen den gleichen Typ Elektronikwecker als Zeitzünder benutzt hatten, stanzte die Polizei allen noch im Handel befindlichen Geräten eine Nummer auf die Rückseite und stattete die Händler, die das Modell vertrieben, mit Überwachungskameras aus. G. war so beim Kauf des Weckers Nummer 5199 fotografiert worden. Dieser wurde beim Anschlag auf das Gentechnikinstitut benutzt.
Das Interesse am Prozess war nicht nur im Vorfeld des ersten Verhandlungstages groß. Neben den 26 Pressevertretern waren am Mittwoch viele ältere linke Aktivisten im Gerichtssaal. Eine Besucherin sagte am Rande: »Die Rote Zora hat damals vielen Mut gemacht. Das ist ein Grund, heute hier zu sein.« Lunnebach sagte auf die Frage, warum sich G. zur Rückkehr entschieden habe, dass sie ihr »Leben in der Illegalität« beenden wollte, da dies eine »anstrengende Situation« sei.
Im Dezember 1987 war G. zusammen mit ihrem Lebensgefährten, dessen Verfahren voraussichtlich im Sommer beginnt, kurz vor einer groß angelegten Razzia der Polizei untergetaucht. Ein Urteil im Prozess gegen G. wird für Montag erwartet.
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