Ende eines Dornröschenschlafs

Die Wallauer Spange soll ab 2025 Wiesbaden direkt mit dem Frankfurter Flughafen verbinden

  • Hans-Gerd Öfinger
  • Lesedauer: 3 Min.

Nach dem Willen von politischen Entscheidungsträgern, Deutscher Bahn (DB) und Rhein-Main-Verkehrsverbund (RMV) sollen ab 2025 schnelle Nahverkehrszüge die hessische Landeshauptstadt Wiesbaden über knapp 30 Kilometer ICE-Hochgeschwindigkeitstrasse in 14 Minuten mit dem Frankfurter Rhein-Main-Flughafen verbinden. Wer diese Strecke heute auf den herkömmlichen Gleisen in meist überfüllten S-Bahnen der Linie S9 zurücklegt, muss dafür mindestens 34 Minuten und immer wieder auch Verspätungen bei der Fahrt durch die Opelstadt Rüsselsheim einkalkulieren. In der S8 dauert die Fahrt auf der chronisch überlasteten Strecke von Wiesbaden über Mainz zum Flughafen derzeit gar 41 Minuten.

Den Quantensprung bei der Anbindung Wiesbadens an das restliche Rhein-Main-Gebiet und den bundesweiten Fernverkehr der Bahn soll die Fertigstellung der sogenannten Wallauer Spange bringen. Diese wenige Kilometer lange Verbindungstrasse unweit der Ortschaft Hofheim-Wallau am Wiesbadener Autobahnkreuz war eigentlich schon in den 1990er Jahren zum Greifen nahe. Damals plante und baute die DB die ICE-Hochgeschwindigkeitsstrecke vom Frankfurter Flughafen nach Köln.

Weil die 2002 in Betrieb genommene Trasse entlang der Autobahn A3 auch über Wiesbadener Gebiet verläuft, machte sich die Stadt für eine direkte Anbindung stark. Am Ende entstand ein gut 13 Kilometer langer zweigleisiger Ast, über den Züge auf dem Weg vom Wiesbadener Hauptbahnhof nach Köln bei Wallau in nördlicher Richtung einfädeln können. Derzeit verbindet allerdings nur jeweils ein Zugpaar frühmorgens und spätnachmittags Mainz/Wiesbaden mit der rheinischen Domstadt. Sonst herrscht auf der parallel zur überquellenden Autobahn A66 verlaufenden ICE-Strecke gähnende Leere und eine Art Dornröschenschlaf. Spötter sprechen von einem teuren Schildbürgerstreich.

Die populäre Idee einer wenige Kilometer langen Einfädelstrecke in südlicher Richtung, also der klassischen Wallauer Spange, wurde Mitte der 1990er Jahre in der entscheidenden Planungsphase für die ICE-Strecke von der DB und der damaligen Bundesregierung aus Union und FDP verworfen. Sie hätte damals im Zuge der Baumaßnahmen nur einen Bruchteil der Kosten verursacht, die Bund, Land und Bahn jetzt für das Projekt in die Hand nehmen wollen. Doch die Fixierung der Bahnmanager auf Kostensenkung und das Korridordenken standen im Wege. Die alte Staatsbahn war 1994 in eine Aktiengesellschaft umgewandelt worden und trennte nach dem Willen von Politik und Managern die Sparten Fernverkehr und Nahverkehr strikt und künstlich voneinander ab. Dass Nahverkehrszüge sinnvollerweise hier und da auch über moderne ICE-Trassen rollen könnten, war in den Köpfen der ehemaligen Luftverkehrs- und Automanager im DB-Vorstand nicht vorgesehen.

So mussten gut zwei Jahrzehnte vergehen, bis der Wiesbadener ICE-Ast aus seinem Dornröschenschlaf gerissen und die Spange 2016 endlich im Bundesverkehrswegeplan festgehalten wurde. Zu den einsamen Rufern in der Wüste gehörte auch die LINKE, die Anfang 2008 in einem Flugblatt ihre Realisierung forderte. Gutachter bescheinigen dem Projekt einen sehr hohen Kosten-Nutzen-Faktor. Acht Monate vor der hessischen Landtagswahl unterstützen offenbar alle maßgeblichen politischen Kräfte im Land die Spange. Sollten Anlieger die Realisierung nicht durch Klagen vor Verwaltungsgerichten verzögern, so könnten ab 2025 die vom RMV als »Hessenexpress« titulierten flotten Nahverkehrszüge zunächst im Halbstundentakt von Wiesbaden über den Flughafen zum Frankfurter Hauptbahnhof bzw. in die Wissenschaftsstadt Darmstadt rollen.

Anwohner und Kommunalpolitiker in Wallau und östlichen Stadtteilen Wiesbadens, die bisher keinen Schienenanschluss hatten, hoffen nun sehnlichst auf einen zusätzlichen Haltepunkt »auf der grünen Wiese«, den sie rasch mit Fahrrad, Bus oder Pkw erreichen können. Ein Umsteigen vom Auto auf die Bahn wird damit für viele erstmals richtig attraktiv. Für zigtausend Pendler und Bahnfahrer, die jetzt regelmäßig mit der herkömmlichen S-Bahn von und nach Wiesbaden reisen, könnte ab 2025 ein verlorenes knappes Vierteljahrhundert enden. Schließlich wäre der erhebliche Zeitgewinn durch die Spange schon 2002 möglich gewesen. Im Laufe von Jahrzehnten summiert sich der zeitliche Mehraufwand für Berufspendler auf nahezu ein halbes Jahr Lebenszeit.

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