Montenegro: Frauen drängen in politische Ämter

Erstmals hat in dem Adria-Staat eine Partei eine weibliche Präsidentschaftskandidatin nominiert

  • Elke Windisch, Dubrovnik
  • Lesedauer: 4 Min.

Große dunkle Augen beherrschen ein von naturblondem, schulterlangem Haar umrahmtes, dezent geschminktes Gesicht. Vor zwanzig Jahren hätte Draginja Vuksanović jede Casting Show gewonnen. Doch Gott der Herr hat ihr auch scharfen Verstand, Schlagfertigkeit und eine gehörige Portion Selbstbewusstsein verliehen. Das wird sie noch brauchen: Am 15. April wählt Montenegro einen neuen Präsidenten. Und die oppositionelle Sozialdemokratische Partei (SDP) hat Vuksanović, die einen Lehrstuhl für Recht an der Universität in der Hauptstadt Podgorica hat, am vergangenen Montag als Kandidatin nominiert.

Bisher wagte keine Frau den Griff nach dem höchsten Staatsamt in dem kleinen Adria-Staat. Doch nun drängt es das vermeintlich schwache Geschlecht - in Montenegro selbst ist vom »zarten Geschlecht« die Rede - offenbar mit Macht an die Macht. Auch für den Posten des Oberbürgermeisters in Podgorica, der im Mai neu vergeben wird, will sich - ebenfalls zum ersten Mal - eine Frau bewerben: Branka Bošnjak, von der oppositionellen »Bewegung für Veränderungen« und Professorin wie Vuksanović. Beobachter sprechen von einer »kulturellen Revolution«, fragen sich jedoch, ob die erzkonservative patriarchalische Gesellschaft dafür reif ist.

Zwar war eine Frau - die freie Demokratin Vesna Perović - von 2001 bis 2003 Parlamentschefin. Beim weiblichen Anteil von Parlamentsabgeordneten jedoch rangiert Montenegro laut Statistik der Interparlamentarischen Union (IPU) für 2017 weltweit nur auf Platz 95, Knapp vor Saudi-Arabien (Platz 97) und den USA (Platz 104). Führend ist Ruanda, Deutschland landete auf Rang 23. Österreich auf Platz 28. Von Montenegros derzeit 21 Ministern sind ganze vier Frauen. Frauen gehören laut Grundbuch auch nur vier Prozent aller Immobilien. Bei der Vergabe von Gewerbelizenzen oder Einträgen von Unternehmen in das Amtsregister sind sie mit mal gerade 9,6 Prozent ebenfalls unterrepräsentiert. Und Ende letzten Jahres machte die Zivilgesellschaft erneut mit einer landesweiten Kampagne gegen die gezielte Abtreibung weiblicher Embryonen mobil. Das Erbe soll ungeteilt auf den Stammhalter übergehen. Töchter werden von den Eltern daher auch oft gezwungen, auf ihr Pflichtteil zugunsten der Brüder zu verzichten. Aufmüpfigen droht Ausschluss aus der Großfamilie und dadurch landesweite soziale Ächtung: Montenegro mit mal gerade 660 000 Einwohnern ist ein großes Dorf, in dem sich alles schnell herumspricht.

Sogar in den Köpfen gestandener Politikerinnen und Aktivistinnen für Gendergleichheit sind die traditionellen Verhaltensmuster tief verankert. Zwar ließ sich auch Milica Pejanović-Đurišić - Ex-Botschafterin und später Verteidigungsministerin Montenegros - die Option offen, bei den Präsidentenwahlen für die regierende Demokratische Partei der Sozialisten (DPS) ins Rennen zu gehen. Allerdings nur dann, wenn der Boss auf eine Kandidatur verzichtet: Milo Đukanović, bis 2016 Premier des Landes.

Auf dessen Rückkehr in die Politik drängt nicht nur die eigene Basis. Auf die Kommandobrücke des Staatsschiffs gehöre ein Mann, finden sogar junge Frauen. Solche wie Neda, die in Großbritannien studiert hat und in Kotor Touristen durch die malerische Altstadt führt. Auf dem Bauernmarkt, wo vor allem Frauen mit Selbstangebautem handeln, stehen die Chancen für eine Präsidentin fifty fifty. Frauen stünden eher zu ihrem Wort, seien weniger anfällig für Korruption, kreativer, die besseren Organisatoren und effizientere Manager, finden viele. Beispiel: Das beste Fischrestaurant der Stadt. Dort habe nicht der Wirt, sondern dessen durchsetzungsstarke Gattin die Hosen an. Ebenso im Boutique-Hotel im nahe gelegenen Budva, dem ersten des Landes und noch ein Geheimtipp für Individual-Touristen mit gehobenen Ansprüchen.

Dass Montenegro in überschaubaren Zeiträumen von Frauenhand regiert wird, hält die Literaturwissenschaftlerin Božena Jelušić dennoch für wenig wahrscheinlich. Gleichstellung durch das Gesetz bedeute zudem nicht automatisch Gleichheit im Alltag. Das sei ein Mehr-Generationen-Projekt und nur möglich durch Demokratisierung der Gesellschaft von innen. »Frauen müssen lernen, ihre Rechte stärker durchzusetzen. Und damit in der eigenen Familie beginnen«, so Jelušić. Noch aber seien alle Parteichefs Männer, die »Jungs« würden trotz aller sonstigen Interessenkonflikte eine Frau an der Spitze des Staates gemeinsam verhindern. Selbst, wenn sie aus dem eigenen Rennstall kommt.

Mut würden die Entwicklungen bei den Nachbarn machen. In der Tat: Kroatien hat eine Präsidentin, Kosovo ebenfalls. Und in Serbien, wo die eigentliche politische Gestaltungskompetenz allerdings beim Präsidenten liegt, ist eine Frau Regierungschefin: Ana Brnabić, eine bekennende Lesbe.

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